Einfach mal losfahren
Da ich dank meiner BahnBonus-Punkte noch einen Gutschein für eine internationale Fahrt hier liegen hatte, habe ich ihn für ein One-Way-Ticket nach Amsterdam eingelöst und Züge (Umsteigen in Osnabrück) gewählt, bei denen noch Fahrradplätze buchbar waren – mit etwa zwei Wochen Vorlauf und etwas Flexibilität kein Problem.
Der Plan: In Amsterdam eine Runde mit dem Rad durch die Stadt drehen, auf einem stadtnahen Campingplatz übernachten und dann die rund 440 Kilometer nach Hamburg fahren, ohne vorher Etappenziele festzulegen oder Unterkünfte vorzubuchen. Das hatte auf dem Weg von Bamberg nach Salzburg ja auch im Hochsommer sehr gut geklappt.
Prolog: Kleine Runde durch Amsterdam (16 Kilometer)
Nachdem das mit der Anreise mit der Bahn (*) ganz gut geklappt hat (okay, 40 Minuten Verspätung), bin ich in Amsterdam frei nach Gefühl und ohne Plan ein bisschen an den Grachten entlang gefahren. Einfach ein bisschen bei wunderschönem Spätsommerwetter (auch wenn es schon meteorologischer Herbst war) Brücken und Boote gucken.
Was natürlich auffällt: Wie erwartet sind hier wahnsinnig viele Leute mit dem Rad unterwegs. So richtig Spaß gemacht hat das allerdings nicht. Ich hatte ständig das Gefühl, dass ich gleich bremsen muss, weil mir jemand ohne zu gucken über den Weg fährt – aber vielleicht haben die Radfahrenden in Amsterdam ja auch wie Fledermäuse eine Art Radar und touchieren sich nie.
Übernachtet habe ich dann auf dem nur knapp fünf Kilometer vom Hauptbahnhof Amsterdam Centraal entfernten Campingplatz Zeeburg. Dieser Platz bietet neben günstigen Stellplätzen für Zelte auch ein paar Unterkünfte wie Fässer oder Bauwagen. Von hier aus fahren auch Busse direkt bis in die Innenstadt.
Die Lage am Wasser (es gibt sogar einen winzigen Strand) ist großartig. Einziger Nachteil: Man hört nachts das ständige Rauschens des Verkehrs auf der nahegelegenen Autobahnbrücke.
Etappe 1: Von Amsterdam nach Ruinen (134 Kilometer)
Ein weiterer Vorteil der Lage des Campingplatzes: Man ist schon im Grünen und kann gleich Richtung Flevoland, der Provinz, die dem IJsselmeer erst im 20. Jahrhundert mit Deichen und Entwässerung abgerungen wurde, auf neuen und großartigen Radschnellwegen losfahren.
In irgendeiner Doku über Flevoland hatte ich schon von den Konik-Pferden gehört, die auf Flevoland vor Jahrzehnten ausgewildert wurden und sich seitdem rasant vermehrt haben. Ich habe eine kleine Herde zufällig entdeckt, als ich eine, äh, biologische Pause eingelegt hatte. Hinter Büschen und Bäumen waren die Pferde gut versteckt und ich bin nur durch ihr Wiehern auf sie aufmerksam geworden; sehen konnte ich sie erst, nachdem ich auf eine Bank gestiegen bin.
Landschaftlich war die Strecke zwischen Amsterdam und Ruinen aber nicht nur wegen des vielen Grüns schön. Gerade die vielen Wasserwege machen die Fahrt abwechslungsreich. Und so ganz ohne Berge ist es natürlich auch ziemlich unanstrengend. Ich rätsele eigentlich immer noch, wie Komoot an diesem Tag 230 Höhenmeter für mich berechnet hat – wahrscheinlich ist der Großteil davon zwei Auffahrrampen zu Brücken über Autobahnen zu verdanken.
Als mögliches Tagesziel war mir schon in der Vorbereitung das Örtchen Ruinen in den Sinn gekommen – einfach des Namens wegen. Aufgestanden in Ruinen – und der Zukunft zugewandt, oder so.
Und Nomen ist doch nicht immer Omen. Ruinen hat einen schönen Ortskern mit zahlreichen alten Bauernhäusern mit Reetdächern, einer Kirche und der für Radfahrer nötigen Infrastruktur mit Restaurants und einem gut sortierten Supermarkt.
Übernachtungstipp in Ruinen
Westerstraat 84, Ruinen
Hotel mit angeschlossener Brasserie, sichere Abstellmöglichkeit für Fahrräder (Zugang mit Zimmerkarte).
Etappe 2: Von Ruinen nach Friesoythe (123 Kilometer)
Für diese Etappe hatte ich dann doch mal die Unterkunft schon am morgen vor der Abfahrt in Ruinen gebucht – einfach weil es nicht so wahnsinnig viel Unterkünfte auf der Strecke Richtung Oldenburg gab, die in Tagesreichweite lagen.
Und mit dem Ziel Friesoythe wurde die Fahrt ein Vergleich der Fahrradwege auf niederländischer und deutscher Seite. Und da Fazit ist ziemlich eindeutig: In den Niederlanden Fahrrad zu fahren macht deutlich mehr Spaß.
Auch wenn es mal keine Radwege gibt, ist zumindest auf den Straßen klar, auf wen hier Rücksicht zu nehmen ist. Wie im folgenden Foto erkennbar, scheint es nur eine Auto-Fahrspur für beide Richtungen zu geben – die Autofahrer bekommen so gar nicht erst das Gefühl, dass die ganze Straße ihnen gehört.
Meist sind aber explizite Radwege vorhanden, die gut asphaltiert sind und oft auch die Vorfahrtsberechtigte Strecke sind. An kreuzenden Straßen müssen dann Autofahrer (und kreuzende Radfahrer natürlich auch) warten und Vorfahrt gewähren.
Mit der „Schwung“-App bekommt man offenbar an einigen Ampeln sogar automatisch grün, ohne darum betteln zu müssen. Und vielfach sind, wie man es in Deutschland von den Autostraßen kennt, vor Ampeln Kontaktschleifen im Radweg verlegt, die auch automatisch grün anfordern. So müssen Radwege aussehen – dann klappt es auch mit dem verstärkten Umstieg vom Auto aufs Rad.
Auf der deutschen Seite setzte dann schnell wieder Frustration über die Radinfrastruktur ein und es kam der Klassiker: Radwege, die durch Baumwurzeln aufgewellt sind – und statt sie zu reparieren wird eben einfach ein Warnschild „Radwegschäden“ aufgestellt. Danke für nichts.
Die Grenze hatte ich übrigens irgendwo zwischen Sellingen und Hasseberg überquert. Ja, das klingt nach mitten im Nirgendwo – und das war es auch. Direkt an der Grenze waren nicht mal Hinweisschilder auf den Grenzübertritt aufgestellt. Es wechselten nur plötzlich die Hinweisschilder für Radfahrer von der niederländischen roten auf die deutsche grüne Umrandung.
Und da ich Geographie ja immer nur beim Reisen lerne, habe ich erstmals vom Küstenkanal gehört, an dem ich an diesem und am nächsten Tag mal mehr, mal weniger entlang geradelt bin. Der 70 Kilometer lange Küstenkanal verbindet die Hunte bei Oldenburg mit der Ems (bzw. dem Dortmund-Ems-Kanal) bei Dörpen.
Solche Kanäle faszinieren mich ja immer wieder. Irgendwie scheint mir die Binnenschifffahrt eine Parallelwelt zu sein, die man im Alltag gar nicht so wahrnimmt. Bei Gelegenheit muss ich da unbedingt mal mitfahren, glaube ich.
Kurz vor Friesoythe kam mir der Radweg irgendwie bekannt vor: schnurgerade Strecke, von Bäumen gesäumt, wie auf einem Bahndamm – klar, das war wieder eine stillgelegte Bahnstrecke, die zum Radweg umfunktioniert wurde.
In Friesoythe selbst ist fast nichts mehr von dieser Bahnstrecke zu erkennen, die ins Saterland führte und schon 1968 stillgelegt wurde, ehe der Bahnhof dann 2003 abgerissen wurde. An dessen Stelle ist jetzt mitten in der Stadt eine Betonwüste mit Supermärkten und wahrscheinlich mehr Parkplätzen als es in der Gegend Autos gibt. Nur der Wasserturm des Bahnhofs hat den Abriss überstanden und wird heute als Jugendzentrum genutzt.
Übernachtungstipp in Friesoythe
Europastraße 1, Friesoythe
Hotel mitten in der Innenstadt, Einkaufsmöglichkeiten fast direkt vor der Tür, sichere Abstellmöglichkeit für Fahrräder in der Garage.
Etappe 3: Von Friesoythe nach Hamburg (206 Kilometer)
Der Plan für den dritten Tag der Radreise von Amsterdam zurück nach Hamburg war einfach: Schnell mal die etwa 30 Kilometer nach Oldenburg fahren, Kaffee trinken und dann gemütlich weiterfahren und mal schauen, wie weit ich komme.
Bis nach Hause wären das laut Komoot etwa 190 Kilometer gewesen – nochmal deutlich mehr als ich bisher je an einem Tag gefahren bin. Das schien mir angesichts des Gegenwinds, den ich an den Vortagen immer wieder mal hatte (eigentlich hatte ich ja mit ständigem Rückenwind gerechnet…) völlig utopisch.
Und zwischen Oldenburg und Bremen habe ich immer wieder mal kleine Pausen gemacht, um mich auszuruhen. Aber ich hatte ja Zeit und zwischen Bremen und Hamburg gibt es mehrere Campingplätze, so dass ich ganz entspannt weiterfahren konnte und je nachdem, wie weit ich kommen sollte – es hätte sich immer ein Platz gefunden.
Kurz hinter Bremen ging es dann plötzlich deutlich besser – vermutlich hatte einfach der Gegenwind aufgehört. Nach 95 Kilometern konnte ich mir weiterhin nicht vorstellen, an diesem Tag die gesamte Strecke bis Hamburg zu schaffen, doch nach 105 Kilometern habe ich bei einer Tankstelle gehalten, mir ein Snickers, ein Bifi und neue Getränke gekauft und plötzlich wurde mir klar, dass ich offenbar weiterfahren wollte.
Die Campingplätze waren ja immer noch da. Ich hätte jederzeit „aufgeben“ können, aber offensichtlich hatte ich plötzlich Lust, einfach weiter zu fahren. Selbst wenn ich mehr oder weniger bis Hamburg schleichen würde, die letzte Fähre von Finkenwerder auf die andere Elbseite sollte problemlos zu erreichen sein.
Und so habe ich mich wohl in einen Flow gefahren. Ich habe die Strecke genossen, der Sonne auf dem Rad beim Untergehen zugeschaut und irgendwann die Lampen angeschaltet. Den Muskelkater der letzten zwei Tage in den Oberschenkeln habe ich zumindest beim Fahren nicht gespürt und irgendwann war klar: das ist mein Tag.
So habe ich dann nach 181 Kilometern am Fähranleger in Finkenwerder auch beschlossen, die 200 Kilometer voll zu machen. Das wollte ich eigentlich von Teufelsbrück aus machen, habe mich dann mit der Fähre allerdings „verfahren“ und bin im Dunkeln versehentlich am Fähranleger Bubendey-Ufer ausgestiegen. Mitten im Industriehafen.
Na gut, warum denn nicht – so habe ich eben noch eine Runde durch den Hafen gedreht und bin über die Kattwykbrücke und durch den Alten Elbtunnel nach Hause gefahren. Das hat dann insgesamt 206 Kilometer an diesem Tag ergeben.
Den nächsten Tag habe ich dann weitgehend verschlafen, aber das war es mir wert. Was aber bleibt ist die Frage: Wo liegt mein Limit beim Radfahren? Ich denke, die 250-Kilometer-Marke hätte ich auch noch geschafft, wenn es nötig gewesen wäre.
Was ist also das nächste Ziel? Gerate ich jetzt auf die schiefe Bahn und werde noch zum ehrgeizigen Ultradistanz-Fahrer? Wohl eher nicht – mein Hintern hätte dazu am nächsten Tag zumindest sein klares Veto eingelegt.