Die Vorgeschichte
Ich war ja von den Spielen und der letzten Rugby-Weltmeisterschaft in Japan so begeistert, dass ich schon damals beschlossen hatte, 2023 in Frankreich wieder dabei sein zu wollen.
Inzwischen haben sich meine Regelkenntnisse – auch dank der Besuche bei Six Nations-Spielen oder dem Groundhopping letztes Jahr in Südfrankreich – deutlich verbessert, so dass ich jetzt auch den Spielen besser folgen kann.
Wie kommt man an Tickets?
Man konnte zwar Resttickets für einzelne Spiele noch sehr kurzfristig über die offizielle Buchungsplattform von World Rugby bestellen, doch wer auf Nummer sicher gehen wollte, musste sich frühzeitig um Tickets bemühen.
Schon im Januar 2021 wurden die Ersten Karten zum Verkauf freigegeben – allerdings nur als Städte- oder Nationen-Pakete. Das heißt, man konnte Tickets für alle Vorrundenspiele einer Mannschaft oder alle Spiele in einer bestimmten Stadt kaufen.
Nachdem ich – trotz des Log-ins über vier Geräte bzw. Browser – viel Zeit in einer virtuellen Warteschlange verbracht hatte, waren die günstigen Kategorien schon ausverkauft. Aber immerhin habe ich ein „Italien-Paket“ mit Spielen gegen Frankreich und Neuseeland in Lyon ergattert.
Die beiden anderen Gegner (Uruguay und Namibia) standen zu dem Zeitpunkt noch nicht fest, aber da die Vorrunde insgesamt vier Wochen dauerte, wollte ich eh nicht die ganze Zeit in Frankreich verbringen und diese eher „unwichtigen“ Spiele später weiterverkaufen.
Das hat dann auch geklappt, nachdem alle Teilnehmer feststanden und eine Art Tauschbörse auf der offiziellen Ticket-Website eröffnet wurde. So bin ich dann noch an Tickets für die Spiele Neuseeland gegen Uruguay (in Lyon) und Australien gegen Portugal (in Saint-Étienne) gekommen.
Außerdem habe ich irgendwann noch Tickets für die Halbfinalspiele in Paris ergattert – aber dazu demnächst mehr.
Welche Spiele habe ich gesehen?
In Gruppe A waren der dreifache Weltmeister Neuseeland und Gastgeber Frankreich die klaren Favoriten. Italien hat sich in den letzten zwei Jahren gemausert, hatte aber allenfalls kleine Außenseiterchancen auf ein Weiterkommen ins Viertelfinale.
Insofern waren bei allen Spielen – auch bei Australien gegen Portugal – relativ klare Siege zu erwarten. Und so ist es dann auch gekommen.
Neuseeland vs. Italien
Stade OL, Lyon, 29.09.2023
Ergebnis: Neuseeland 96 – Italien 17
Italien hatte seine Pflichtaufgaben in Gruppe A mit Siegen gegen Namibia (52:8) und Uruguay (38:17) zuvor souverän gelöst und wollte nun gegen Neuseeland für eine Überraschung sorgen. Die All Blacks hatten ihr Auftaktspiel gegen Frankreich verloren (13:27) und konnten sich keinen Ausrutscher mehr erlauben, wenn sie ins Viertelfinale einziehen wollten.
Im Prinzip war das Spiel nach knapp 20 Minuten und dem dritten Versuch Neuseelands schon gelaufen. Italien bemühte sich, verpasste aber zu viele Tackles – und das sollte einem gegen spielfreudige All Backs nicht passieren. Zur Pause stand es so schon 49:3. Ein Ergebnis, was schon für eine volle Spieldauer eine ziemliche Packung gewesen wäre – aber Neuseeland hatte Lust weiter zu spielen.
In der zweiten Halbzeit gab es noch sieben weitere Versuche für Neuseeland. Italien konnte immerhin zwei Versuche legen und hat sich nie aufgegeben, aber an dem Tag war einfach nicht mehr drin.
Für die Zuschauer ergab sich so überhaupt keine Spannung, aber das Publikum in Lyon erfreute sich an einem unterhaltsamen Laufspiel und feierte sich mit La Ola und der Marseillaise auch ein bisschen selbst.
Australien vs. Portugal
Stade Geoffroy-Guichard, Saint-Étienne, 29.09.2023
Ergebnis: Australien 34 – Portugal 14
Im Gegensatz zu Lyon, wo die Abreise vom Spiel mitunter länger dauert als das Spiel selbst, kann man in Saint-Étienne bequem zu Fuß ins rund 42.000 Zuschauer fassende Stadion laufen.
Schon auf dem Hinweg war klar: Die Fans Portugals werden – auch dank einer großen portugiesischen Community in Frankreich – in der Überzahl sein. Dass Portugal sich überhaupt für die Weltmeisterschaft qualifiziert hatte, war eine Überraschung: Sportlich hatte sich eigentlich Spanien für das letzte Ausscheidungsturnier qualifiziert, hatte allerdings einen nicht-spielberechtigten Spieler eingesetzt, so dass ihnen Punkte abgezogen wurden. So nahm eben Portugal am Final Qualification Tournament im November 2022 teil. Im letzten Spiel gegen die USA erzielte der in Frankreich geborene Samuel Marques in der Nachspielzeit den Ausgleich, der Portugal aufgrund der besseren Punktdifferenz aus den anderen Spielen zur Qualifikation reichte.
In Saint-Étienne lieferten die Portugiesen ein gutes Spiel. Bis zur 19. Minuten lagen sie gegen die klar favorisierten Australier sogar in Führung, ehe das Team von Down Under bis zur Pause auf 24:7 davon zog.
Das Publikum war klar auf portugiesischer Seite. Der australische Trainer Eddie Jones wurde von immer von allen ausgepfiffen, wenn er mal auf den Großbildschirmen gezeigt wurde. Auch von den australischen Fans, die ihm eine gewisse Arroganz vorwarfen und das sich abzeichnete Ausscheiden schon in der Vorrunde übel nahmen.
Die zweite Halbzeit konnte Portugal – die sich später noch für ihren Auftritt bei dieser WM mit einem Überraschungssieg gegen Fiji belohnten – offner gestalten und so die Niederlage mit 20 Punkten im Rahmen halten.
Neuseeland vs. Uruguay
Stade OL, Lyon, 05.10.2023
Ergebnis: Neuseeland 73 – Uruguay 0
Uruguay hatte zuvor mit einem couragierten Auftreten gegen eine französische B-Mannschaft überzeugt (12:27), gegen Neuseeland war in diesem Spiel allerdings nichts zu holen. In der ersten Halbzeit konnten die Südamerikaner noch ganz gut dagegen halten (0:27), danach gingen dann wohl Kraft und Konzentration etwas verloren und die All Blacks machten das, was sie am besten können: schnell spielen und Versuche erzielen.
Das war dann phasenweise wie ein Trainingsspiel. Aber als Zuschauer bekam man wenigstens was zu sehen.
Frankreich vs. Italien
Stade OL, Lyon, 06.10.2023
Ergebnis: Frankreich 60 – Italien 7
Eine Pflichtaufgabe für Frankreich, die letzte Chance für Italien – auch wenn da nach dem Spiel gegen Neuseeland eine Woche zuvor niemand mehr mit einem italienischen Sieg gerechnet hat.
Frankreich hat dieses Spiel nahezu in Bestbesetzung bestritten. Nur der verletzte Kapitän Antoine Dupont wurde nach seiner Operation des gebrochenen Oberkiefers und Jochbeins noch geschont. Gebraucht wurde er nicht.
Ein schnelles Offloadspiel, für das die Franzosen („French Flair“) bekannt sind, brachte schnell die Führung und schließlich einen deutlichen 60:7-Sieg. Damit stand dann auch der Gruppensieg fest – und einen Tag später mit Südafrika der Gegner im Viertelfinale – immerhin der amtierende Weltmeister.
Wie war es sonst so in den Stadien?
Die Stimmung
Während es in Japan in den Stadien eher ruhig war, war die Stimmung in Lyon und Saint-Étienne deutlich besser. Wie beim Rugby üblich saßen hier die Fans bunt gemischt. Und bei vielen (neutralen) Zuschauern wurden sowohl die zahlreichen Versuche Neuseelands bejubelt – oder eben der jeweilige Underdog angefeuert. Und wenn es langweilig wurde, wurde eben mal wieder die „Marseillaise“ angestimmt. Geht in Frankreich ja eigentlich immer.
Faszinierend fand ich es immer wieder, wie viele Leute sich mitten im Spiel auf den Weg zum Getränkestand machten, um Nachschub zu holen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass die mehr an Bier als am Sport interessiert waren. Die haben einfach sehr darauf geachtet, nicht zu dehydrieren.
Lange Schlangen den den Verkaufsständen
World Rugby dürfte an den Lizenzen für Merchandising-Produkten ein Vermögen verdient haben. Zumindest gab es an den entsprechenden Verkaufsständen immer lange Schlangen – für aus meiner Sicht wenig attraktive Produkte.
Essen und Trinken im Stadion
Frankreich – das Land des guten Essens. Nun, in die Stadien hat es die haute cuisine offenbar nicht geschafft.
Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals wieder so schlechte Pommes essen würde, wie einst in Nordkorea (Wir haben das dort aus guten Gründen „refried fries“ genannt), aber in Lyon (der Stadt von Paul Bocuse!) war das möglich. Na gut, irgendwie muss die Verpflegung von zigtausend Besuchern ja auch schnell gehen, aber so trockene Frites muss man erstmal hinbekommen.
Die Getränkepreise waren auch nicht ohne. Softdrinks werden in Flaschen (ohne Deckel – da hilft es, wenn man ganz zufällig einen passenden Deckel in der Hosentasche findet) für 4,50 Euro und Bier im Becher (mit zwei Euro Pfand) für acht Euro verkauft.
Und, hat es sich gelohnt?
Dumme Frage. Natürlich.
Die nächste Weltmeisterschaft findet im September und Oktober 2027 in Australien statt. Die Anreise ist dann also etwas länger, aber ich werde mich wieder frühzeitig um Tickets kümmern – in Australien gibt es schließlich auch abseits der Stadien genug zu sehen.