Tagesausflug in die Nähe von Saint-Étienne
Das kleine Örtchen Firminy – etwa 13 Kilometer von Saint-Étienne entfernt – würde wohl kaum das Interesse von Touristen auf sich ziehen, wenn es nicht gerade das größte Ensemble an Bauten des Architekten Le Corbusier beheimaten würde.
Dafür allerdings lohnt sich für alle Architektur-Interessierten ein Abstecher. Auch und gerade, wenn man beispielsweise die Unité d’Habitation in Marseille schon kennt.
Wer war nochmal dieser Le Corbusier?
Le Corbusier (eigentlich: Charles-Édouard Jeanneret-Gris) war ein schweizerisch-französischer Architekt, der als einer der bedeutendsten Vertreter seines Faches des 20. Jahrhunderts gilt.
Auf ihn geht auch der Begriff des Brutalismus zurück, da er den häufig verwendeten Sichtbeton als „béton brut“ (zu deutsch: „rohen Beton“) bezeichnete.
Seine berühmten „Fünf Punkte der Architektur“ formulierte er schon 1927 und setzte sie dann in den Unités d’Habitation (u.a. in Marseille und Firminy) konsequent um: Betonstützen statt tragender Mauern, Dachgärten auf einem Flachdach, eine freie Grundrissgestaltung, Langfenster und eine freie Fassadengestaltung.
Was gibt es in Firminy zu sehen?
Die Planung für den neuen Stadtteil Firminy-Vert begann Mitte der 1950er Jahre, als Firminy stark wuchs und viele Menschen auch nicht mehr in den alten Häusern ohne Bad leben wollten.
Für Le Corbusier war Firminy so etwas wie sein Spätwerk. Er starb 1965 und erlebte so die Vollendung vieler Gebäude nicht mehr.
Prägend für Firminy-Vert war, wie der Name schon sagt, die Idee, einen Stadtteil im Grünen entstehen zu lassen. Noch heute stehen die vielen Hochhäuser der Gegend sehr luftig und sind durch Fußwege miteinander verbunden, die abseits der Autostraßen verliefen.
Das Kulturzentrum
Für viele Betrachter mag das Kulturzentrum, das in den Hang hineingebaut wurde, wie ein hässlicher Betonklotz wirken. Bei genauerer Betrachtung – und die lohnt sich bei Le Corbusier immer – entfaltet sich jedoch eine unglaubliche Eleganz (okay, ich gebe zu, ich bin Le Corbusier-Fan).
Insbesondere in der Seitenansicht enthüllt sich mit der nach oben geschwungenen Fassade und der für damalige Verhältnisse unglaublich innovativen selbsttragenden Dachkonstruktion eine Schönheit in Beton.
Auch bei diesem Bauwerk wollte Le Corbusier nicht auf seine typischen Farbelemente verzichten: Fensterrahmen, Türen und Dekoelemente im inneren sind in den unverkennbaren Grün-, Gelb-, Rot– und Blautönen gehalten.
Das 1965 fertiggestellte Kulturzentrum wird auch heute noch für seinen ursprünglichen Zweck verwendet, wie ein Konzertsaal und zahlreiche Ausstellungsräume zeigen.
Das Stadion
Ebenfalls noch stark genutzt wird das an das Kulturzentrum angrenzende Stadion, das erst 1966 bis 1968 nach dem Tod Le Corbusiers, aber nach seinen Plänen gebaut wurde.
So wahnsinnig Le Corbusier-like ist es nicht. Es ist eben ein Leichtathletik-Stadion für eine kleine Stadt mit einer großen Betontribüne. Aber es ist auch Teil des Gesamtwerkes, das auf das Zusammenspiel von Wohnen und Freizeit ausgerichtet war.
Das Schwimmbad
Nur für Schwimmer zugänglich ist das angrenzende Schwimmbad des Architekten André Wogenscky, der hier zwischen 1969 und 1971 baute und sich insofern in das Le Corbusier-Ensemble einfügte, als dass er die Formen und Materialien (sprich: viel Beton) Le Corbusiers aufnahm.
Die Kirche
Erst sehr spät wurde die Kirche Saint-Pierre fertiggestellt. Bis zu seinem Tod arbeitete Le Corbusier an den Plänen für diese Kirche. Die Grundsteinlegung erfolgte dann 1970. Baubeginn war dann aber doch erst 1973 und 1978 wurden die Bauarbeiten erstmal eingestellt – irgendwie war die Finanzierung wohl nicht ganz durchdacht.
Erst 2000 wurden dann wieder konkrete Pläne für die Vollendung des Gebäudes gefasst und die Eröffnung erfolgte dann 2006.
Ich bin mit diesem Bau nicht recht warm geworden. Aber vielleicht liegt das auch daran, dass ich offenbar zu blöd war, den eigentlichen Kirchenraum zu finden und stattdessen nur die unteren beiden Ebenen mit Ausstellungsflächen und Begegnungsstätten gesehen habe.
Im oberen Bereich müssen aber wohl noch irgendwo zwei Kapellen zu finden sein.
Aber auch von außen wirkt die Kirche für meinen Geschmack doch zu brutalistisch. Gerade so, als wollte Le Corbusier hier nochmal etwas ganz Besonderes schaffen. Er hat dabei aber etwas übertrieben und jegliche Eleganz vermissen lassen.
Das Wohngebäude: Unité d’Habitation
Die „Wohneinheit“ („Unität d’Habitation“) in Firminy-Vert ist eines von insgesamt fünf solcher Wohnhausprojekten (neben Firminy: in Marseille, Rezé les Nantes, Briey-en-Fôret und Berlin), die Le Corbusier umgesetzt hat.
Mit einer Länge von 130 Metern und einer Höhe von 56 Metern und einer Breite von 21 Metern ist das Gebäude ähnlich groß wie die Cité Radieuse in Marseille – ein Besuch ist daher wie ein Déjà Vu.
Auch hier sind die Wohnungen über zwei Etagen angelegt und über „Straßen“ alle zwei Etagen und die unverkennbaren Türen erreichbar. Auch hier gab es eine (1998 geschlossene) Schule auf der 18. und 19. Etage und eine Dachterrasse, die nur den Bewohnern zugänglich ist.
Quick Facts
Le Corbusier in Firminy
Wie kommt man nach Firminy?
Firminy ist etwa 13 Kilometer vom Stadtzentrum von Saint-Étienne entfernt. Man erreicht die Stadt gut mit öffentlichen Verkehrsmitteln.
Entweder mit dem Regionalzug von diversen Bahnhöfen in Saint-Étienne (u.a. dem Hauptbahnhof Châteaucreux) in etwa 15 Minuten alle halbe Stunde (Kosten: 4,40 Euro).
Oder mit dem Bus M2 (Kosten: 1,60 Euro) alle 20 Minuten in knapp einer halben Stunde aus dem Stadtzentrum bis Firminy.
In Firminy sind alle Sehenswürdigkeiten zu Fuß erreichbar.
Wie kann man die Gebäude von Le Corbusier in Firminy besichtigen?
Das Kulturzentrum und die Kirche Saint-Pierre kann man ohne Führung besichtigen (Eintrittspreis: 6,50 Euro, am ersten Sonntag des Monats kostenlos). Führungen durch beide Gebäude werden für 10,50 Euro angeboten. Tickets gibt es im Kulturzentrum.
Die Öffnungszeiten sind 10:00 bis 12:30 Uhr und von 13:30 bis 18 Uhr. Dienstags ist Ruhetag (außer im Hochsommer). Die aktuelle Informationen zu Öffnungszeiten und Preisen finden sich hier.
Die Unité d’Habitation darf man sich offiziell nur im Rahmen einer Führung anschauen. Geführte Touren kann man für 10 Euro hier buchen.
Das Schwimmbad ist wie ein normales Schwimmbad gegen Eintrittspreis zu betreten, das Stadion für Touristen wohl eher nicht – aber das kann man von außen auch ganz gut einsehen.