Mehr als nur eine Firmengeschichte

Clermont-Ferrand ist nicht gerade eine Stadt voller Sehenswürdigkeiten. Die größte Attraktion sind die Vulkanlandschaften der Auvergne – mit dem Highlight Puy de Dôme – drumherum.

Wofür die Stadt bekannt ist: Der örtliche Rugbyclub ASM Clermont Auvergne und die Reifenfirma Michelin (ja, genau – die mit dem Michelin-Männchen und den Sterne-Restaurantführern).

Es ist wahrscheinlich bezeichnend, dass der Club 1911 als Association Sportive Michelin als Verein für die Firmenmitarbeiter gegründet wurde – und jetzt auch wieder im Besitz der Firma ist.

Fassade des Stade Marcel-Michelin
Gegenüber vom Museum: Das Rugby-Stadion von Clermont-Ferrand

Michelin ist noch immer einer der wichtigsten Arbeitgeber in Clermont-Ferrand und hat die Entwicklung der Stadt stark geprägt. Darüber wollte ich mehr erfahren und habe daher das firmeneigene Museum besucht, dass man etwas hochtrabend „L’aventure Michelin“ („Das Abenteuer Michelin“) genannt hat.

Abenteuerlich ist dort wenig. Eigentlich wird nur die eigene Firmengeschichte als Erfolgsgeschichte erzählt – aber da Michelin seit der Gründung 1889 die Automobilgeschichte begleitet hat, ist es auch eine Zeitreise in die Anfänge des Automobils und seiner Entwicklung in Frankreich.

Frühes Auto in blau und gelb
Frühes Automodell in Michelinfarben

Was gibt es im Michelin-Museum in Clermont-Ferrand zu sehen?

Das Museum bietet einen Rundgang durch die Firmengeschichte: Von den Anfängen als Hersteller von Fahrradreifen bis hin zu hochmodernen Reifen für Rennwagen oder Riesentrucks.

Das Faszinierende daran ist, dass man so auch insbesondere in die Anfänge der Kulturgeschichte des Automobils hineingezogen wird. Anhand zahlreicher Reifenmodelle wird deutlich, wie schnell sich die ersten Autoreifen entwickelten.

Abgenutzte Reifen aus der Michelin-Frühzeit
Abgenutzte Reifen aus der Michelin-Frühzeit

Spannender fand ich allerdings, wie Michelin begleitend – heute würde man von Marketing sprechen – alles tat, um das Autofahren (mit den eigenen Reifen natürlich) in Frankreich populär zu machen.

Diese Entwicklung wurde allerdings durch den Ersten Weltkrieg massiv gestört. Statt Fahrrad- und normale Autoreifen zu produzieren, passte sich Michelin allerdings schnell an und belieferte das französische Militär mit den benötigten Reifen und entwickelte auch spezielle Reifen für Flugzeuge.

Modell eines Doppeldecke-Flugzeugs aus dem 1. Weltkrieg im Michelin-Musuem
Im Ersten Weltkrieg wurden Flugzeuge mit Michelin-Reifen ausgerüstet

Die erste Straßenkarte – die älteren Leser mögen sich erinnern, dass es nicht schon immer Google Maps und Navigationsgeräte gab – wurde von Michelin schon 1908 gezeichnet und dann wurde bis 1913 ganz Frankreich für die neuen Automobilisten kartografiert.

Straßenkarte in einer Vitrine
Straßenkarte Frankreichs Anfang des 20. Jahrhunderts

Mit den Reiseführern der Reihe „Guides verts“ – die es in Frankreich bis heute gibt – förderte Michelin ab 1926 den (automobilen) Tourismus und nutze dabei ein Sternesystem zur Bewertung der Sehenswürdigkeiten: Von drei Sternen („vaut le voyage“ – extra eine Reise wert), über zwei Sterne („mérite un détour“ – einen Umweg wert) und einem Stern („intéressant“) bis zu einfachen Sehenswürdigkeiten wurde das Land so erfahrbar gemacht.

Neu war das System natürlich nicht, es wurde schließlich schon seit 1900 bei den „Guides rouges“ eingeführt – den bis heute bekannten Michelin-Restaurantführern, nach deren Sternen Köche weltweit streben.

Das ist vielleicht einzigartig, dass eine Marke mit den Marketing-Produkten genauso berühmt ist, wie mit dem eigentlichen Produkt.

Hinweisschilder und Straßenschilder aus Beton
Vereinzelt findet man solchen Hinweisschilder aus Beton noch heute in Frankreich

Neben Straßenkarten und Reiseführern hat sich Michelin aber auch auf den Straßen für die Orientierung der Autofahrer eingesetzt. Als Verkehrsschilder noch nicht so weit verbreitet waren, produzierte Michelin Hinweisschilder, Ortsschilder und Verkehrsschilder aus Beton, die hin und wieder auch heute noch in Frankreich zu finden sind.

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Das Michelin-Männchen (in Frankreich „Bibendum“ genannt), die ikonische Werbefigur der Reifenfirma, wurde übrigens schon 1898 erfunden. Im Laufe der Zeit hat er allerdings abgenommen (von 40 auf 28 Reifen) und hat sich wohl auch das Zigarrenrauchen abgewöhnt.

Führerstand des Kurzzuges in der Eingangshalle des Michelin-Museums
Michelin hat auch mal einen Zug auf Reifen entwickelt

Für mich war so völlig neu, dass Michelin in den 1930er Jahren auch Züge gebaut hat – natürlich mit Gummireifen. Die sogenannte „Micheline“ wurde nicht nur in Frankreich, sondern auch in verschiedenen französischen Kolonien eingesetzt. Auf Madagaskar ist wohl auch noch ein Zug im Tourismusverkehr im Einsatz.

Reifenmodelle vom Fahrradreifen bis zu großen Lkw-Reifen
Ausstellung aktueller Reifenmodelle

Lohnt sich der Besuch im Michelin-Museum in Clermont-Ferrand?

Das Museum stellt natürlich die Firmengeschichte aus Sicht von Michelin dar und dürfte daher etwas rosiger sein, als sie in Wirklichkeit war. Dafür, dass das ganze im Grunde genommen auch nur ein weiterer Baustein des Firmenmarketings ist, sind die Eintrittspreise (s.u.) vielleicht auch etwas zu hoch.

Aber man bekommt so zumindest einen ganz interessanten Überblick, welche Bedeutung Michelin nicht nur im Bereich der Reifenherstellung hatte, sondern wie gerade die Marketingaktivitäten – vom Michelin-Männchen über die Restaurantführer bis hin zu den Straßenschildern aus Beton – das Unternehmen so bekannt gemacht haben.

Vitrine mit Michelin-Reiseführern aus unterschiedlichen Jahrzehnten
Michelin-Reiseführer im Laufe der Zeit

Ich hätte gerne noch mehr über Michelin und seine Rolle für die Stadtentwicklung Clermont-Ferrands erfahren, aber das wäre dann vielleicht doch etwas zu nerdig gewesen.

Wer mal zufällig in der Gegend ist und anderthalb Stunden Zeit hat – für den kann ich einen Besuch im „L’aventure Michelin“ durchaus empfehlen. Extra deswegen anzureisen, lohnt sich allerdings eher nicht. Insgesamt also: ein Stern („intéressant“).

Schaukasten mit Drehwürfeln mit Landkarten-Ausschnitten
Michelin war auch maßgeblich an der Weiterentwicklung von Landkarten beteiligt

Quick Facts zum Museum L’Aventure Michelin

Anreise zum Michelin-Museum in Clermont-Ferrand

Das Museum liegt direkt gegenüber des Stade Marcel Michelin an der Rue du Clos Four 32 in
Clermont-Ferrand.

Vom Gare SNCF Clermont-Ferrand braucht man zu Fuß etwa 25 Minuten (1,8 Kilometer) bis zur Adventure Michelin.

Mit dem Bus B oder der Straßenbahnlinie A kommt man auch in die Nähe des Museums, ist vom Bahnhof aus aber nur unwesentlich schneller als zu Fuß.

Für alle, die mit dem Auto anreisen, steht ein kostenloser Parkplatz am Museum zur Verfügung.

Schwarzes Fahrrad aus der Anfangszeit von Michelin
Wer mag, kann natürlich auch mit dem Fahrrad anreisen

Öffnungszeiten

Das Museum ist in der Regel von 10 bis 18 Uhr geöffnet. Im Juli und August auch bis 19 Uhr.
Montag ist meist, aber nicht immer, Ruhetag.

Im Januar ist das Museum für einige Wochen geschlossen.

Die genauen Öffnungstage und -Zeiten finden sich auf der Website des Museums.

Auto von Beginn des 20. Jahrhunderts mit Reifen von Michelin
Michelin hat die Geschichte des Automobils von Anfang an begleitet

Eintritt

Erwachsene: 11 Euro, Kinder, Jugendliche (7-17 Jahre): 7 Euro, Kinder bis 6 Jahre: freier Eintritt, Familienticket: 29 Euro.

Ein Audioguide (nicht zwingend nötig) kostet nochmal zwei Euro extra.

Man kann sich seine Tickets auch im Voraus online sichern.