Zurück in die 1950er Jahre

Ein Besuch im Stalin-Museum ist eine Zeitreise zurück in die 1950er Jahre. Joseph Stalin, geboren als Iosseb Bessarionis dse Dschughaschwili in Georgien, war gerade vier Jahre tot, als dieses Museum in seiner Geburtsstadt Gori eröffnet wurde. Und offenbar wurde bis heute kaum etwas an der glorifizierenden Darstellung des Diktators geändert.

Museum in einem Palast-artigen Gebäude
Das Stalin-Museum in Gori

Willkommen beim Dikator

Altbacken ist das Wort, was mir beim Betreten des ersten Ausstellungsraumes sofort in den Sinn kam. Wobei – vielleicht fangen wir am Eingang an. Oder noch besser: vor dem Gebäude. Beim Baubeginn im Jahr 1951 sprach man offiziell noch davon, dass hier mitten in Gori ein Museum zur Geschichte des Sozialismus entstehen sollte. Doch es war wohl von Anfang an als Hommage an den Mann gedacht, der die Sowjetunion von 1927 bis 1953 regierte und für die Ermordung von mehreren Millionen echten und vermeintlichen Oppositionellen verantwortlich war.

Stalin-Statue am Ende einer mit rotem Teppich bedeckten Marmottreppe
Wie eine Audienz beim Diktator: Stalin-Statue in der Eingangshalle

Der Bau im Stile des sozialistischen Klassizismus wirkt wie ein Palast, auf dessen Dach nun statt der sowjetischen die georgische Flagge weht. Im Inneren hat sich allerdings seit 1989 nichts verändert. Die Eingangshalle wird von einer Freitreppe dominiert, auf dessen Absatz der „Hausherr“ auf die Besucher zu warten scheint.

Was gibt es im Stalin-Museum in Gori zu sehen?

Was hier eigentlich so alles ausgestellt wird, kann man sich nur erschließen, wenn man die bei einzelnen Ausstellungsstücken angebrachten englischen Übersetzungen der russischen und georgischen Beschriftungen studiert. Manchmal fehlen diese jedoch und man muss sich seinen Teil denken – was bei diesem Museum aber automatisch passiert.

Blick in den ersten Ausstellungsraum
Modern sind hier nur die Covid-Abstandshinweise auf dem Parkett

Im Prinzip wird hier das Leben des in einfachen Verhältnissen 1878 in Gori geborenen Iosseb erzählt, der wohl anfangs ein fleißiger Schüler war, dann kurz ein Priesterseminar in Tiflis besuchte ehe er „Berufsrevolutionär“ wurde und sich den Kampfnamen Stalin gab.

Die Zeit bis zur russischen Revolution 1917 ist offensichtlich nicht sonderlich gut mit Fotos belegbar, daher wird dieser Zeitraum mit Banküberfällen, Festnahmen, Fluchten aus der Verbannung und ein paar Jahren im Exil in Wien und Krakau eher kurz abgehandelt.

Schwarz-weiß-Fotos an der Wand
Jugendfotos von Stalin in Gori

Im Mittelpunkt des Museums steht der „Staatsmann“ Stalin nach seiner Machtergreifung 1927. Dort wird er durch Fotos und Gemälde als Vater der Nation und Freund der Arbeiterklasse inszeniert. Eine Karte zur Industrialisierung soll wohl illustrieren, wie sehr er die Sowjetunion weiterentwickelt hat, ehe das Land von den Nazis überfallen wurde und Stalin den „großen vaterländischen Krieg“ führen musste – der Hitler-Stalin-Pakt zur Aufteilung Polens wurde in der Ausstellung wohl „zufällig“ vergessen.

Fotos von Stalin und vom 2. Weltkrieg
Stalin als großer Feldherr

Überall Büsten und Gemälde Stalins – das hat starke Nordkorea-Vibes. Kein Wunder, schließlich soll ja auch Kim Il- Sung ein großer Fan Stalins gewesen sein und viel von ihm gelernt haben. Und so wie es im Kumsusan-Palast in Pjöngjang endlose Vitrinen mit Geschenken gibt, die dem „ewigen Präsidenten“ Nordkoreas überbracht wurden, so gibt es auch im Stalin-Museum in Gori einen eigenen Raum, in dem in Glasvitrinen ausgestellt ist, was sich so im Laufe der Jahre angesammelt hat. Stalin konnte offenbar nichts wegwerfen – bei „Messi oder Kondo?“ wäre seine Antwort klar gewesen.

Und so finden sich im Museum unter anderem ein Samowar, Vasen, Porzellan-Kamele, Geschirr mit seinem Gesicht drauf, kunstvoll gestaltete Pfeifen oder Kästchen aller Art. Bestechung gab es im Kommunismus bestimmt nicht; der Pelzmantel von einer Moskauer Firma wurde bestimmt nur der Sorge um die Gesundheit des großen Staatsmannes wegen geschickt. Das mit Brillanten besetztes Akkordeon – ebenfalls von einer Fabrik geschenkt – brauchte Stalin wahrscheinlich auch dringend, weil er nur damit die von ihm selbst 1944 eingeführte Nationalhymne adäquat intonieren konnte.

Zu meinen persönlichen Favoriten gehört eine handgearbeitete Friedenstaube mit der Widmung „a Giuseppe Stalin – Campione della Pace“ von italienischen Frauen in Frankreich. Giuseppe Stalin – das klingt gleich viel freundlicher.

Irgendwo ist dann auch noch sein erstes Büro im Kreml nachgebaut, ein Schachspiel steht wie zufällig (großer Stratege!) auf einer Anrichte und seine Uniform in einer Vitrine.

So langsam müsste doch auch eine Aufarbeitung der Verbrechen Stalins kommen, denkt man sich. Doch in der Hauptausstellung im Obergeschoss sucht man danach vergeblich.

Kritische Auseinandersetzung mit Stalin?

„The Independent“ berichtete, dass nach dem Krieg Georgiens mit Russland um Südossetien 2008 mal ein Banner am Museum angebracht wurde, dass dieses Museum Geschichte falsch darstelle und ein typisches Beispiel für Sowjet-Propaganda und ihren Versuch, das blutigste Regime der Geschichte zu legitimieren, darstelle.

Irgendwann muss dann auch dieses Plakat wieder verschwunden sein. Vermutlich kann oder will die Stadt Gori auf diese Touristen-Attraktion und die damit verbundenen Einnahmen (Eintritt: 15 Lari, ca. 5,50 Euro) nicht verzichten.

Uniform, Mantel und Stiefel in einem Glasschaukasten
Die Uniform von Joseph Stalin

Ich war schon auf dem Weg aus dem Museum, als ich mich im Erdgeschoss nochmal umgeschaut habe, ob hier noch etwas zu sehen ist. Und tatsächlich neben der Treppe gab es noch einen etwas versteckten Raum, in dem ein paar Schwarz-weiß-Bilder an der Wand hängen und ein paar Dokumente ausgestellt sind, in denen doch noch auf Verfolgungen, Arbeitslager und Massentötungen im Stalinismus hingewiesen wird. Angesichts der Lobpreisungen Stalins im Obergeschoss wirkt das allerdings wie ein sehr, sehr kleines Feigenblatt.

Einige Fotos und Dokumente in Glaskästen und an der Wand
Das ist alles zu den Verbrechen Stalins

Draußen vor der Tür

Im Außenbereich des Museum gibt es auch noch etwas zu sehen.

Eine weitere Parallele zu Nordkorea: Wie bei Kim Il-Sung kann man auch hier sehen, in welchem Haus der „Campione della Pace“ geboren wurde. Geschützt vor den Wettereinflüssen unter einem permanenten Baldachin mit Säulen steht hier ein einfaches Häuschen aus Ziegelsteinen.

Neben dem Museum kann man dann auch noch einen Waggon des angeblich gepanzerten Zuges von Stalin sehen (klar, wie in Nordkorea!), mit dem er auch zur Konferenz in Jalta gefahren ist.

Einstöckiger Backsteinbau mit Holztür
Das Geburtshaus Stalins

Fazit:
Lohnt sich ein Besuch des Stalin-Museums?

Ein Besuch im Stalin-Museum in Gori lohnt sich nur für Menschen, die ein gewisses Geschichtsbewusstsein mitbringen und die dort dargestellte Propaganda einordnen können. Wenn man das im Hinterkopf hat, ist es faszinierend, wie sehr der Diktator auch ein paar Jahre nach seinem Tod noch verehrt wurde und dass sich dieses Museum und seine Ausstellungsinhalte auch im demokratischen Georgien mit seiner kritischen Haltung zur Sowjetgeschichte noch erhalten hat.

Wie kommt man nach Gori?

Es gibt zwar auch Züge nach Gori, aber die einfachste und schnellste Anreise erfolgt mit Marshrutkas. Diese starten alle 15 Minuten in Tiflis am Busbahnhof Didube, kosten 5 Lari (ca. 1,83 Euro) und brauchen etwa 75 Minuten.

In Gori kann man dann direkt an der Rückseite des Stalin-Museums aussteigen. Die Busstation von Gori liegt etwa 2,3 Kilometer nördlich des Museums.

Stalin-Statue im Park vor dem Museum
Stalin-Statue im Park vor dem Museum