Sightseeing, wo Oma und Opa groß geworden sind

Auch ich habe ja einen Migrationshintergrund. Einen oberschlesischen – drei Viertel meiner Großeltern sei Dank. Als Kind habe ich gewusst, aus welchen Orten sie da kamen, viel mehr aber auch nicht – und später habe ich nicht mehr gefragt. Und nun ist es zu spät, um noch zu fragen, wo genau sie gewohnt haben und wie es da so war.

Also bin ich jetzt, als ich „zufällig in der Gegend war“, einfach mal nach Bytom (dt. „Beuthen“) und Głuchołazy (dt. „Ziegenhals“) gefahren und habe mich da ein bisschen umgeschaut.

Beides sind Städte bzw. Orte, die auch nach der Teilung Oberschlesiens in Folge des Ersten Weltkriegs zum Deutschen Reich gehörten. Seit 1945 sind sie Teil der polnischen Woiwodschaften Schlesien bzw. Opole.

Altes Schulgebäude mit dem Wappen der Stadt Beuthen

Besuch in Bytom

Das ehemalige Beuthen liegt nur etwa 15 Kilometer von Kattowitz entfernt und ist mit Linienbussen gut erreichbar.

Bytom ist heute eine Großstadt mit mehr als 170.000 Menschen. An einem heißen Sonntag im August merkt man davon in der fast ausgestorbenen Innenstadt allerdings recht wenig.

Alter Neubau in Bytom

Im Oberschlesischen Museum

Zunächst einmal schaue ich im Oberschlesischen Museum (pl. „Muzeum Górnośląskie“, plac Sobieskiego 2, Bytom) vorbei, um mehr über die Stadt und die Region zu erfahren.

Das Oberschlesische Museum

Doch das Museum ist insgesamt eine große Enttäuschung. Es gibt hier absolut nichts zur Geschichte Oberschlesiens. Zu welchen Nationen gehörte Oberschlesien im Laufe der Jahrhunderte? Wie war das Verhältnis von Deutschen zu Polen im Laufe der Zeit? Gerade nach den Volksabstimmungen nach dem Ersten Weltkrieg? Nach dem Zweiten Weltkrieg?

Offenbar besteht die Ausstellung noch im Wesentlichen aus der Zeit der Volksrepublik Polen. Es sollte kein Anschein entstehen, dass Górny Śląskie mal nicht polnisch war.

Was es stattdessen zu sehen gibt: Ausgestopfte Tiere aus der Region, ein bisschen Ethnologisches (Trachten, Traditionen, Werkzeuge aus Bergbau und Landwirtschaft, Häkelarbeiten) und Gemälde aus dem 19. und 20. Jahrhundert – bei denen aber kaum mal ein Bezug zu Oberschlesien erkennbar ist.

Ich habe mich beim Gang durch das Museum die ganze Zeit gefragt, ob meine Großeltern als Schulkinder wohl hierher geschleppt wurden und sich dort furchtbar gelangweilt haben.

Es gibt übrigens auch in Ratingen ein Oberschlesisches Landesmuseum, das ich mir bei Gelegenheit mal anschauen werde.

Bytom verfällt

Wikipedia weiß zu berichten, dass der exzessive Bergbau der Vergangenheit in Bytom zu spontanen Absenkungen im Boden führt. Investoren in der Stadt zu finden, gestaltet sich daher schwer. Und da auch hier der Strukturwandel zuschlägt, hat die Stadt eine Arbeitslosenquote von 30 Prozent und die Häuser zerfallen zusehends.

Eine ehemalige Bergmannssiedlung

Richtig lebenswert erscheint die Stadt zumindest am Sonntag nicht. Selbst ich fühle mich hier ein wenig unwohl und habe die Männer, die sich in kleinen Grüppchen auf dem Marktplatz sammeln, um gemeinsam zu trinken, sorgsam im Auge.

Noch ein kleiner Abstecher auf die andere Seite des Bahnhofs, um ein paar Fotos von den verlassenen Zechenanlagen zu machen, dann setze ich mich in den nächsten Bus zurück nach Kattowitz.

Stillgelegte Fördertürme

Besuch in Głuchołazy

Głuchołazy liegt am Ende der Welt – zumindest aus polnischer Sicht, so direkt an der tschechischen Grenze gelegen. Ich habe online sorgsam Fahrpläne studieren müssen, um diesen Ort mit dem zungenbrechenden Namen von Kattowitz aus (über Opole und Nysa) zu erreichen und anschließend auch nach Breslau weiter zu kommen. Eine Tagesreise insgesamt.

Früher war das noch anders. Damals lag Ziegenhals an einer der Hauptbahnstrecken, mit Verbindungen nach Berlin und Prag. Diese Bahnstrecke wurde wegen zerstörter Viadukte und wegen der angespannten Lage zwischen den „sozialistischen Bruderstaaten“ Polen und Tschechoslowakei nach dem Zweiten Weltkrieg allerdings nicht wieder aufgenommen.

Zum nächsten Fahrplanwechsel Ende August 2020 wird der Bahnverkehr nach Głuchołazy wieder aufgenommen. Ganze zweimal täglich fährt dann ein Bummelzug nach Nysa (dt. „Neisse“).

Und wie ist Głuchołazy so?

Der Ort hat – hier war ich an einem Wochentag – einen ganz lebendigen Eindruck gemacht. Es gibt sogar bei der Touristeninformation einen kleinen Reiseführer für den Ort auf deutsch und tschechisch. Dass der nach einmaligem Durchblättern auseinanderfällt – geschenkt.

Am liebsten wollen sie einen auf eine 6,5 Kilometer lange Stadtwanderung schicken, um „die Stadt Głuchołazy und ihre interessantesten Stellen zu entdecken“. Bei knapp 30 Grad und mit meinem gesamten Gepäck dabei, lehne ich dankend ab.

Irgendwo in Głuchołazy

Die Linde ist der Star

Aber immerhin die Innenstadt schaue ich mir näher an. Der Marktplatz ist mit 120 mal 80 Metern einer der größten in Schlesien, heißt es. Und auf die dort stehende Linde ist man offensichtlich besonders stolz. Gepflanzt wurde sie – „ein Vertreter der Gattung der Sommerlinde“ – als Friedenslinde nach dem 30-jährigen Krieg.

Leider ist das Original vor ein paar Jahrzehnten abgestorben und 1992 unter ihrem eigenen Gewicht (bei einem Stammumfang von über sechs Metern) zusammengebrochen. Es blieben nur ein paar Äste und ein Teil des Stammes übrig. Im alten Stamm wurde dann allerdings eine neue Linde gepflanzt, so dass „die Linde ruhig ihren Lebensabend genießen“ kann, wie die Broschüre der Stadt beruhigt.

Der Marktplatz (ohne Linde)

Der Marktplatz macht einen hübschen Eindruck, wenn man aber ein paar Straßen weitergeht, sieht man, dass auch hier die Bausubstanz ein paar Investitionen gut gebrauchen könnte.

Was mich an Głuchołazy am meisten gefreut hat, war das Stadtwappen, das auch mit dem polnischen Namen das alte geblieben ist. Ein schwarzer Ziegenkopf mit gelben Hörnern – die Art von Stadtwappen, die mir schon als kleinem Kind gefallen hat und sehr einleuchtend war für eine Stadt namens Ziegenhals.

Spuren der Vergangenheit

Und, hat sich die Reise gelohnt?

Ich habe mich ein bisschen geärgert, eigentlich zehn Jahre zu spät nach Oberschlesien gefahren zu sein. Sonst hätte ich zumindest eine Großmutter noch ein bisschen nach ihrer Kindheit und Jugend und ihren Erinnerungen an Beuthen befragen können.

Denn viel von der Stadtarchitektur und den Gebäuden ist ja auch 75 Jahre nach dem Krieg noch erhalten. Aber zumindest eine ungefähre Vorstellung, wie es damals dort ausgesehen hat, habe ich mir verschaffen können. Besser als nichts.

Verblasster Glanz in Bytom