Ein Besuch auf dem Gelände, auf dem die „V2“ gebaut wurde
Für meine Reise entlang der deutschen Ostseeküste hatte ich ja keinen Reiseführer. Ich stolpere da meist spontan umher und hatte lediglich ein paar Leute gefragt, was man ihrer Meinung nach unbedingt sehen sollte. Zu Usedom hörte ich unter anderem: „Und Peenemünde war schon beeindruckend!“
Also bin ich von Swinemünde aus einfach mal mit der Usedomer Bäderbahn hingefahren. Und es ist wirklich beeindruckend. Über drei Stunden habe ich im Historisch-Technischen Museum verbracht, das im Prinzip aus drei Teilen besteht:
- eine Ausstellung (mit ein paar größeren Exponaten draußen) zur Geschichte der Heeresversuchsanstalt Peenemünde von 1936 bis 1945
- eine aktuelle Ausstellung zu Hitlers Lieblingsarchitekten Albert Speer
- das ehemalige Kohle-Kraftwerk der Heeresversuchsanstalt, das nach 1945 von der DDR für die zivile Stromproduktion noch bis zum April 1990 weiter betrieben wurde.
Was gibt es genau zu sehen?
Die Heerestechnische Versuchsanstalt
Peenemünde gilt als die „Wiege der Raumfahrt“, weil hier 1942 die Großrakete „Aggregat 4“ – propagandistisch als Vergeltungswaffe „V2“ tituliert – als erste ballistische Rakete in den Grenzbereich des Weltraums vordrang.
Ansatz der Ausstellung
In der Ausstellung wird aber schnell deutlich gemacht, dass es sich hier zwar um absolute Pionierarbeit in der Raketenforschung handelte, dass das Ganze aber eben militärischen Zwecken diente, die A4 als Terrorwaffe gegen die Zivilbevölkerung eingesetzt wurde und für den Bau Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge ausgebeutet wurden.
Die technischen Zeichnungen und Modelle von Raketenbauteilen haben meinen begrenzten technischen Verstand überfordert. Mich hat beim Gang durch die Ausstellung eher der menschliche Aspekt beschäftigt.
Was trieb die Forscher an?
Hier haben sich hunderte von brillanten Wissenschaftlern zusammengefunden (insgesamt arbeiteten bis zu 12.000 Menschen in irgendeiner Form auf dem Gelände) und von Anfang an für das Militär gearbeitet. Ich kann absolut nachvollziehen, dass dabei anfangs der forscherische Thrill und der Drang, wirkliches Neuland zu betreten, überwogen haben muss.
Doch den Forschern muss klar gewesen sein, für wen und was sie da bauen. Und was mit den Zwangsarbeitern geschah.
Zwangsarbeiter waren anfangs noch auf dem geheimen Gelände im Norden Usedoms untergebracht, ehe die Produktion 1943 in Stollensysteme in Thüringen verlegt wurde und die Zwangsarbeiter, die die „Vergeltungswaffen“ bauen mussten unter unmenschlichen Bedingungen zu Tausenden starben.
Haben die Wissenschaftler das einfach verdrängt? Sich ihre Arbeit schöngeredet? Hätten sie noch aussteigen können? Wahrscheinlich ja – mit der Konsequenz, an die Front geschickt zu werden. Und da hat dann wahrscheinlich jeder zuerst an sich gedacht.
Dass sich die Forscher der Lage bewusst waren, entnehme ich auch der Information, dass der technische Leiter des Projekts, Wernher von Braun, ebenso wie einige seiner engsten Mitarbeiter im März 1944 wegen „Wehrkraftzersetzung“ für zwei Wochen in Gestapo-Haft war. Danach wurden sie aber wieder freigelassen, da ihr Projekt als kriegswichtig eingestuft war.
Kein Karriereknick
Die Ausstellung zeigt auch auf, wie die Raketenwissenschaftler auch mit Nazi-Vergangenheit ihre Karrieren nach 1945 im Dienste der Alliierten fortsetzen konnten – Wernher von Braun war dann ja entscheidend am Raumfahrtprogramm und der Mondlandung der USA beteiligt. Ein Forscher erst im Dienste von Hitler, dann von Kennedy – was für ein Leben.
Die Albert Speer-Ausstellung
Im ersten Stock des ehemaligen Kohlekraftwerks gibt es derzeit eine Ausstellung über Albert Speer, der ja als Lieblingsarchitekt Adolf Hitlers galt.
Vor allem seine gigantomanischen Pläne für das Reichsparteitagsgelände in Nürnberg sowie für den Umbau Berlins zeichneten sein architektonisches Werk aus. Ab 1942 war er schließlich Rüstungsminister und nahm auch Einfluss auf den Ausbau der Konzentrationslager.
In den Nürnberger Prozessen wurde er wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit nur zu 20 Jahren Haft verurteilt. Dabei kam ihm wohl zugute, dass sich einsichtig gab und eine Gesamtverantwortung zugab. Eine eigene Schuld hat er allerdings nie eingestanden.
Die Ausstellung zeigt sehr verständlich, wie sich Speer nach seiner Haft ab 1966 als unpolitischer, verführter Technokrat inszenierte – und seine Geschichte von den Medien damals nicht hinterfragt wurde. Seine Bücher wurden Bestseller, er zum Millionär. Bei den „Erinnerungen“ und „Spandauer Tagebüchern“ haben sein Verleger Wolf Jobst Siedler und der Publizist Joachim Fest wohl fleißig geholfen – u.a. mit Hinweisen, dass Speer frühe Zweifel an NS-Regime schildern müsse.
Das Kohle-Kraftwerk
Das Kohlekraftwerk ist eines der wenigen noch erhaltenen Gebäude auf dem Gelände der „Heeresversuchsanstalt Peenemünde“. Die meisten Gebäude und Bunkeranlagen wurden direkt nach dem Krieg gesprengt. Nur ein paar Bunkerreste sowie die Ruine der Sauerstofffabrik kann man in der Gegend noch sehen.
Gebaut wurde das Kohlekraftwerk ab Dezember 1939, um den Strombedarf der Forschungsanlage und der eigens gebauten S-Bahn auf dem Gelände zu decken. Zwei Drittel der produzierten Leistung wurden allerdings allein für die Produktion des für den Raketenantrieb wichtigen Flüssigsauerstoffs gebraucht.
1945 wurden die Kraftwerksturbinen und -anlagen zum Teil demontiert und als Reparationsleistungen in die Sowjetunion abtransportiert. Anfang der 50er Jahre wurde das Kraftwerk dann vollständig wieder instandgesetzt und auf Braunkohle umgerüstet, da es in der DDR keine Steinkohle gab. Noch bis April 1990 war das Kohlekraftwerk dann in Betrieb.
Lohnt sich der Besuch im Historisch-Technischen Museum?
Ja, auf jeden Fall. Für historisch Interessierte gibt es in der Ausstellung zur Heeresversuchsanstalt wahnsinnig viele Informationen. Technisch Interessierte kommen hier und auch im Kraftwerk voll auf ihre Kosten.
In letzterem hätte mir wahrscheinlich eine Führung mehr gebracht – aus Corona-Gründen finden im Moment allerdings keine Gruppenführungen statt.
Anreise mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Historisch-Technischen Museum
Die Usedomer Bäderbahn fährt stündlich bis zur Endstation Peenemünde. Von Heringsdorf beispielsweise dauert die Fahrt (mit Umsteigen in Zinnowitz) eine knappe Stunde. Vom Bahnhof Peenemünde aus ist es dann ein Fußweg von 600 Metern bis zum Museum.