Die Vorgeschichte

Ich bin sicherlich nicht der weltgrößte Rugbyfan oder -experte, habe aber die letzten Weltmeisterschaften in teilweise dubiosen Livestreams verfolgt.

Und irgendwie hatte sich da bei mir im Hinterkopf der Gedanke festgesetzt, ein solches Event auch mal live vor Ort zu erleben. Immerhin die angeblich drittgrößte Sportveranstaltung der Welt.

Da ich außerdem noch nie in Japan war, war die Kombination geradezu unwiderstehlich. Blieb nur die Frage:

Reiseführer Tokyo und Trikot der All Blacks
Essenzielle Ausstattung für die Reise

Wie kommt man an Tickets?

Dafür habe ich mich frühzeitig an den Verlosungen der Kaufoptionen für einzelne Spiele angemeldet. Bis zum Januar 2019 bin ich allerdings immer leer ausgegangen. Als dann die First-come-first-serve-Phase begann, saß ich um 20:19 Uhr japanischer Zeit am Rechner und gleichzeitig am iPhone, um meine Chancen zu erhöhen.

Der Wartelistenplatz für den Bestellvorgang wurde dann automatisch zugelost. Und einmal war ich dann auf Platz 70.000-irgendwas und einmal irgendwo jenseits von 110.000. In dem Moment hatte ich dann die Hoffnung auf Tickets schon fast aufgegeben.

Doch nach einer Serverabschaltung in Japan in der Nacht, ging es spätabends deutscher Zeit plötzlich zügig auf den Warteplätzen voran und ich konnte mir noch Tickets sichern.

Plakatwand mit Logo der Rugby-Weltmeisterschaft 2019
Allgegenwärtig: Plakate für das Event

Dafür hatte ich mir vorher ein paar Spiele ausgeguckt, die mir von den teilnehmenden Mannschaften, aber auch von den zeitlichen und örtlichen Ansetzungen am besten passen würden. Denn natürlich musste ich auch diese Reise wieder urlaubstagetechnisch optimieren und wollte daher unbedingt in der Woche rund um den Tag der deutschen Einheit nach Japan, um mindestens einen Urlaubstag zu sparen.

Außerdem habe ich einen großen Teils meines Lufthansa-Meilenguthabens eingelöst, um auf dem Rückflug erster Klasse fliegen zu können.

Letztes Spiel am Sonntag Nachmittag, spätabends zum Flughafen, über Nacht an Bord schlafen und am nächsten Morgen pünktlich ins Büro gehen – und wieder einen Urlaubstag sparen. Ein guter Plan, der so auch aufgegangen ist.

Wie war nun die Reiseroute?

Ankunftsort war Tokyo. Bis zum ersten Spiel in Oita, auf der Insel Kyushu im Süden Japans, blieben mir vier Tage Zeit, die ich in der Hauptstadt und Kyoto verbringen wollte, um zumindest die beiden wahrscheinlich wichtigsten Städte einmal kennenlernen zu können.

In Oita bzw. dem nahegelegenen Beppu hatte ich nur eine Übernachtung und die Ankunft direkt am Spieltag eingeplant. Die Hauptattraktion hier wären die heißen Quellen gewesen, die ich allerdings ein paar Monate zuvor auf Island schon genießen konnte und diesmal darauf verzichtete.

Auch in Shizuoka, dem zweiten Spielort, bzw. dem eine knappe Stunde entfernten Hamamatsu habe ich dann auch nur ein paar Stunden Aufenthalt eingeplant, was mangels touristischer Attraktionen auch völlig in Ordnung war.

Und zum Abschluss hatte ich nochmal anderthalb Tage in Tokyo.
Ein Japan-Crashkurs, der mir Lust auf weitere Reisen in dieses Land gemacht hat.

Welche Spiele habe ich gesehen?

Ich bin zur Gruppenphase angereist, als das attraktive Auftaktspiel der Gruppe B zwischen Neuseeland und Südafrika (23:13) schon gelaufen war.

Der Gruppensieger stand so im Prinzip schon fest und auch die Favoritenrollen waren für die Spiele, die ich sehen konnte, klar vergeben.

Neuseeland vs. Kanada

Kanada hatte sich – in einem Ausscheidungsturnier u.a. gegen die deutsche Nationalmannschaft – als eine der letzten Mannschaften für die Weltmeisterschaft qualifiziert und war so krasser Außenseiter in diesem Spiel in der feuchten Hitze Oitas.

Die Stimmung im Stadion war entspannt und durch das geschlossene Dach entwickelte sich ein gewisses Indoor-Feeling.

In Erwartung zweier weiterer Punkte für Neuseeland gegen Kanada

Für die Statistiker war bemerkenswert, dass die Brüder Beauden, Jordie und Scott Barrett nicht nur gemeinsam in der Anfangsaufstellung standen, sondern auch noch alle je einen Versuch legen konnten.

Sportlich war es trotz einiger Fehler der All Blacks die erwartet klare Angelegenheit: 63 zu 0.

Bei jeder Ansage der neuen Spielstände taten mir die Kanadier mehr leid. Sie mussten schließlich auch sieglos die Heimreise antreten, weil ihr letztes Gruppenspiel gegen Namibia wegen des herannahenden Typhoons Hagibis abgesagt wurde.

Südafrika vs. Italien

Italien reiste mit zwei Siegen aus den Spielen gegen die Außenseiter Kanada und Namibia nach Shizuoka an und hätte mit einer Sensation den Einzug ins Viertelfinale erreichen können.

Diese Möglichkeit hatten sie mit einer roten Karte zu Beginn der zweiten Halbzeit wegen gefährlichen Foulspiels schnell verspielt. In dieser Phase hatten die Italiener gute Chancen, den 17:3-Pausenstand zu verkürzen, brachen dann aber in Unterzahl schnell ein.

Am Ende hieß es 49 zu 3 für Südafrika, auf die ich aber trotz des klaren Erfolges keinen Pfifferling als den kommenden Weltmeister gesetzt hätte.

Stadion Shizuoka im Abendlicht kurz vor dem Aufwärmprogramm
Stadion Shizuoka im Abendlicht kurz vor dem Aufwärmprogramm

Neuseeland vs. Namibia

Während ich die Tickets für die ersten beiden Spiele noch für rund 60 bzw. 40 Euro in der Kategorie B bekommen hatte, musste ich für das Spiel der All Blacks gegen Namibia in Tokyo rund 240 Euro in Kategorie B bezahlen.

Da hatte ich schon einen Moment überlegt, ob es mir das wert ist, habe mir dann aber gedacht, dass ich nur einmal zu einer Rugy-WM in Japan sein werde und einfach auf den Bestellen-Button geklickt.

Bei diesem Spiel saß ich also nicht mehr an der Stirnseite des Spielfeldes sondern mehr in der Kurve und näher am Spielfeld. So richtig hat sich mir der Preisunterschied allerdings nicht erschlossen.

Aber immerhin habe ich so den Versuch des Jahres aus relativ nächster Nähe miterleben dürfen.

Von World Rugby offiziell zum Try des Jahres gewählt

An diesem Try ist einfach alles perfekt. Wie er herausgespielt wurde – allein der Pass von Brad Weber war schon brillant. TJ Perenara hat nach dem Spiel gesagt, dass er dachte, nicht schnell genug zu sein, um bis zur try-line zu kommen. Umso erstaunlicher, mit welcher Körperbeherrschung er den Ball noch kontrolliert ablegen konnte.

Das war dann auch tatsächlich der Schlusspunkt in einem unterhaltsamen Spiel. 71 zu 9. Mit diesem Ergebnis konnten wohl auch die Unterlegenen gut leben. Auf dem Weg zum Stadio hatte ich namibische Journalisten getroffen, die eine Niederlage mit mehr als 100 Punkten befürchtet hatten.

Und wie war die Organisation rund um die Spiele?

Die Anreise zu den Stadien war mit öffentlichen Verkehrsmitteln gut organisiert, aber mit langen Wartezeiten verbunden.

Da wohl die meisten Stadionbesucher aus dem benachbarten Beppu angereist sind und mit Shuttlebussen auch wieder dorthin zurückgebracht werden mussten, bildeten sich nach dem Spiel in Oita extrem lange Schlangen an den Haltestellen. Busse schienen reichtlich vorhanden, aber die Halteplätze waren das Nadelöhr.

Aus der langen Wartezeit nach dem ersten Spiel hatte ich also gelernt und schon auf dem Weg hoch zum Stadion in Shizuoka beschlossen, etwas früher zu gehen, um nicht stundenlang vor dem Bahnhof und dann auch noch auf den richtigen Zug zurück nach Hamamatsu warten zu müssen.

Die Idee hatten auch hunderte anderer Leute, die ich versuchte, auf dem Weg zum Bahnhof noch zu überholen. Hat gut geklappt – ich bin mit dem ersten Zug zurückgekommen.

Spielszene aus der Partie Neuseeland gegen Namibia beim Rugby World Cup 2019
All Blacks (in schwarz) im Angriff

Zum Spiel in Tokyo haben sich die Massen etwas besser verteilt, weil mehrere Anfahrtsmöglichkeiten mit öffentlichen Verkehrsmitteln vorgeschlagen wurden. Und nach dem Spiel bin ich diesmal auch noch länger im Stadion geblieben.

Das hat sich insofern gelohnt, als dass ich sehen konnte, dass der Erfolg der All Blacks, nicht überraschend, auf harter Arbeit beruht. Der erst 13 Minuten vor Ende eingewechselte TJ Perenara hat zusammen mit anderen „Replacements“ noch mindestens eine halbe Stunde lang Sprints und Linienläufe gemacht. Und das nicht nur so halbherzig, wie ich das wahrscheinlich gemacht hätte, sondern in vollem Tempo.

Wie war es sonst so in den Stadien?

Die Stimmung

Ich fand es erstaunlich ruhig. Wenig Anfeuerungsrufe, hin und wieder verzweifelte Versuche, eine „La Ola“ in Gang zu bringen, ansonsten aber eher ein konzentriertes Beobachten des Spielgeschehens.

So ganz viel Kompetenz haben die Veranstalter dem japanischen Publikum wohl nicht zugetraut. Sicherheitshalber wurden vor dem Spiel immer wieder mal Regeln erklärt.

Die Begeisterung für den Sport war in den Stadien aber absolut spürbar. Die Weltmeisterschaft wurde ja auch deshalb erstmals nach Asien vergeben, um Rugby dort voranzubringen.

Das scheint gelungen, die japanische Mannschaft, die „Brave Blossoms“ wurden von einer Begeisterungswelle – und durch Siege gegen die Schwergewichte Irland und Schottland – bis ins Viertelfinale getragen.

Schon beim World Cup 2015 konnte Japan begeistern. Die letzten Minuten im Spiel gegen Südafrika muss man gesehen haben. Absolute Gänsehautmomente, wenn Japan Sekunden vor Schluss nicht per Straftritt auf ein sicheres – und sensationelles – Unentschieden spielte, sondern volles Risiko ging.

Mit den Erfolgen bei der Heim-Weltmeisterschaft ist die japanische Mannschaft nun „bei den Großen“ des Welt-Rugby angekommen.

Lange Schlangen den den Verkaufsständen

Merchandisingartikel rund um diese Weltmeisterschaft waren bei den Japanern offensichtlich äußerst beliebt. In allen Stadien bildeten sich sowohl vor als auch nach den Spielen lange Schlangen an den Verkaufsständen mit Trikots, Shirts, Mützen und allerlei Gedöns.

Mitgedacht

Was mich nachhaltig beeindruckt hat, waren die Toiletten in den Stadien. Nicht nur waren die Wartebereiche mit Klebestreifen vor den Räumlichkeiten eingezeichnet und Ein- und Ausgänge klar geregelt, sondern selbst auf den Männertoiletten gab es immer mindestens eine Kabine mit einer Sitzhalterung für Babys und Kleinkinder, so dass sich die Väter auch mal in Ruhe ihren Geschäften widmen konnten.

WC-Kabine im Stadion Japan
Man kann sich kleine Zuschauer mitbringen

Essen im Stadion

In Japan kann man nicht schlecht essen, habe ich mal gehört. Dieser These kann ich nicht widersprechen. Nachdem es in den ersten Spielen wohl etwas Probleme mit der Essensversorgung im Stadion gegeben hatte, durfte man später, als ich dort war, schon eigene Bentoboxen mitbringen. Aber auch im Stadion gab es leckere Snacks zu anständigen Preisen.

Becher mit Hähnchenstückchen vor Rugby-Stadionhintergrund
Kleine Stärkung vor dem Anpfiff

Auf dem Heimweg

Und es stimmt wirklich. Die Japaner nehmen nach den Spielen ihren Müll mit und lassen ihn nicht unter den Sitzen liegen. Sehr nett, sehr höflich.

Sehr berührend war auch, wie die freiwilligen Helfer nach den Spielen an den Stadionausgängen Gassen bildeten, um den Zuschauern High-fives zu geben und ihnen fürs Kommen zu danken. Echte Gastfreundschaft.

Und, hat es sich gelohnt?

Dumme Frage. Natürlich.

Die nächste Weltmeisterschaft im September und Oktober 2023 in Frankreich habe ich schon fest eingeplant. Und bis dahin werde ich versuchen, auch mal Spiele der Six Nations, am liebsten in Wales oder Schottland, zu besuchen.

Große Erwartungen