Zerfallendes Weltkulturerbe
Ushguli ist ein kleines Dorf mit etwa 200 Einwohnern, das auf vier Ortsteile verteilt am Ufer des Flusses Enguri in Oberswanetien liegt und für seine zahlreichen Wehrtürme und die pittoreske Lage vor den Bergen des Hochkaukasus berühmt ist.
Seit 1996 gehört der Ortsteil Chazhashi (oder je nach Transkription aus dem georgischen auch: Tschaschaschi) zum Weltkulturerbe der UNESCO. Grund dafür sind „die Bauweisen der Verteidigungstürme und anderer, auch sakraler Bauwerke mittelalterlichen Ursprungs“, die sich „auf einzigartige Weise mit einer beeindruckenden authentischen Berglandschaft verbinden“, wie Wikipedia die UNESCO-Begründung zusammenfasst.
Die anderen Ortsteile haben die strenge Bedingung, dass alle Gebäude in traditioneller Handwerkskunst und mit lokalen Baumaterialien errichtet sein müssten, nicht erfüllt.
Wie kommt man nach Ushguli?
Es gibt zwei Möglichkeiten, für die Anreise nach Ushguli: zu Fuß oder mit dem Auto.
Zwischen Mai und Oktober, wenn die Wanderwege nicht zugeschneit sind, kann man von Mestia nach Ushguli wandern und zwischendurch in Guesthouses übernachten.
Im tiefsten Winter ist der kleine Ort mitunter wochenlang eingeschneit und die Straße auch für Allrad-Fahrzeuge unpassierbar. Relativ problemlos kann man hingegen im Sommer und Frühherbst mit entsprechenden Fahrzeugen anreisen; entweder indem man selbst fährt (nur mit Allradantrieb möglich!) oder im Rahmen eines in Mestia organisierten Touristen-Shuttles.
Vom kleinen Busbahnhof mitten in Mestia fahren morgens um 10 Uhr Mitsubishi Delica-Minivans mit Allradantrieb nach Ushguli. Hierbei ist es sicher von Vorteil, sich ein Ticket (hin und zurück: 50 Lari, ca. 18 Euro) schon mal am Vortag zu sichern oder über die Unterkunft reservieren zu lassen (dann wird man auch direkt dort abgeholt).
Die Fahrt nach Ushguli
Ushguli liegt zwar nur 46 Kilometer von Mestia entfernt, aber die Straße – oder besser: die Piste – ist teilweise in einem sehr schlechten Zustand. Daher dauert die Fahrt inklusive eines kurzen Stops am sogenannten „Tower of Love“, einem Wehrturm direkt am Ufer des Enguri, gut zwei Stunden.
Für die Fahrer ist diese Strecke nicht einfach. Anfangs ist sie noch betoniert, danach wird sie zu einer Piste voller Schlaglöcher, die es zu umfahren gilt. Hin und wieder müssen dabei auch Bäche durchquert werden, die sich ihren Weg über die Piste bahnen.
Erdrutsche und Steinschlag gehören hier zu wiederkehrenden Gefahren. Auf dem Weg nach Ushguli geht es immer am Enguri entlang – Blicke in den Abgrund inklusive.
Die Fahrer setzen ihre Gäste dann entweder am Café mitten in Ushguli ab oder – was ich empfehlen würde – fahren bis hoch zur kleinen Kirche Lamaria. Von dort aus kann man dann mehr oder weniger immer bergab die einzelnen Ortsteile von Ushguli erwandern.
Die Rückfahrtszeit muss mit dem Fahrer vereinbart werden. Üblich ist aber 15 Uhr, so dass sich eine Aufenthaltszeit von etwa drei Stunden ergibt. Das reicht, um sich in Ushguli in aller Ruhe umzusehen und am Schluss noch einen maßlos überteuerten Kaffee im neuen „Café Bar Enguri“ zu trinken.
Was gibt es in Ushguli zu sehen?
Ushguli hat keine Sehenswürdigkeiten im engeren Sinne, sondern fasziniert als Gesamtensemble aus alten Gebäuden und der umgebenden Landschaft – ganz so wie es die UNESCO auch bewertet hat.
Im oberen Teil des Dorfes gibt es eine Kirche und eine Kapelle – wobei letztere, glaube ich, in der „Schwurszene“ im Film „Dede“ eine Nebenrolle spielte. In einem Wohnhaus im traditionellen Baustil mit Natursteinen und einem Dach aus Schieferplatten ist ein kleines „ethnologisches Museum“ (Eintritt: 5 Lari, ca. 1,80 Euro) eingerichtet.
Süßer die Glocken nie klingen Die kleine Lamaria-Kirche Im Inneren der Lamaria-Kirche
Im Prinzip ist es der Wohnraum des Hauses, der mit allerlei Haushaltsgegenständen und traditionellen Werkzeugen vollgestellt ist. Einen Eindruck der Handwerkskunst und wie die Menschen hier gelebt haben, bekommt man trotzdem.
Schaukelstuhl und weitere Einrichtungsgegenstände Bett über dem Schlafplatz der Tiere Haushaltsgegenstände im Museum
Im Weltkulturerbe-Ortsteil Chazhashi stehen besonders viele der Wehrtürme, vielfach in Rufweite zueinander, und weiterer Gebäude. Bei Städten würde man hier wohl von einer pittoresken Altstadt sprechen, auch wenn hier dringend Instandhaltungsarbeiten nötig wären.
Zumindest im Herbst wirkt hier alles sehr verlassen. Ein paar Touristen stromern umher, ansonsten wirkt es hier sehr verlassen. Offenbar fehlen hier auch die finanziellen Mittel und Genehmigungen, um einfach ein Café oder einen Souvenirshop einzurichten, um dem Ort an dieser Stelle Leben einzuhauchen.
In und um Ushguli gibt es immer wieder Hinweisschilder auf Unterkünfte; oft sind dies kleine Guesthouses. Aber irgendwie wirkt Ushguli nicht wie ein Weltkulturerbe, sondern wie ein vergessenes Dorf am Ende der Welt. Bis heute gibt es hier keine Kanalisation (selbst vom neugebauten Café führen Abwasserleitungen nur dezent in den Fluss)
Dieses weitgehend Untouristische hat aber etwas. Der fehlende Hochglanz lässt Ushguli noch ursprünglicher erscheinen und macht es für Reisende zu einem lohnenden Ziel in Georgien.
Kein Plan für die Zukunft
Den Ortsteil Murkmeli hatte ich zuletzt besucht – und war schockiert. Hier kann man zwar wunderbar sehen, wie die Dorfstruktur im Mittelalter mit den Gebäuden und Wohntürmen ausgesehen hat, aber die meisten Gebäude sind in einem katastrophalen Zustand.
Mit dafür verantwortlich ist wohl ein Lawinenunglück im Jahr 1986.
Man kann gut erkennen, wie hier früher gebaut wurde Ushguli als Beispiel der Broken-Window-Theorie?
Bauliche Veränderungen können in Ushguli nur mit staatlicher Genehmigung durchgeführt werden, um den Weltkulturerbe-Status nicht zu verlieren. Da es aber offenbar keinen Generalplan für die Zukunft des Ortes gibt und die Bewohner kein Geld für die Renovierungen haben, passiert kaum etwas. Die Gebäude verfallen zusehends und die Nebenstraßen sind nicht mehr als unbefestigte Feldwege, die nach etwas Regen voller Schlamm sind.
Ich habe mich beim Spaziergang durch Ushguli ständig gefragt, ob das nun die Ruhe vor dem Massentourismus ist oder ob es das Ende von Ushguli als Weltkulturerbe ist.
Mit staatlichen Investitionen, Kleinkrediten für die Bewohner, um ihre Häuser für touristische Einnahmen herzurichten) und einem klaren Plan, wie Ushguli sich entwickeln sollte, könnte der Ort zu einem der schönsten Reiseziele in Georgien werden. Der Status quo mit verfallenden Häusern und fehlenden Perspektiven für die Menschen vor Ort ist hingegen ziemlich deprimierend.