Vom Welttourismus übersehen

Rainald Grebe hat ja mal ein Lied geschrieben für alle, die aus Städten kommen, die nie im Lonely Planet stehen. Tatsächlich taucht Neumünster bisher weder in diesem Reiseführer noch in den Top-Empfehlungen der New York-Times-Reiseredaktion auf.

Sylt, Flensburg, Schleswig und Lübeck werden vom Lonely Planet als Top-Destinationen in Schleswig-Holstein genannt. Selbst Kiel schafft es mit mehreren „Attraktionen“ auf die etwas weiter gefasste „Must See“-Liste.

Und was ist mit Neumünster? Tja, die Frage habe ich mir natürlich auch gestellt und bin einfach mal hingefahren, um herauszufinden, welche Sehenswürdigkeiten die 80.000-Einwohner-Stadt zu bieten hat und ob da vielleicht ein verstecktes Weltkulturerbe zu entdecken ist, auch wenn auf Instagram Hunde, Autos und das Outletcenter am Rande der Stadt die größte Aufmerksamkeit zu bekommen scheinen.

Fahrrad vor dem See
An der Schwale mitten in Neumünster

Mittendrin statt nur dabei

Nach Kiel (knapp 250.000 Einwohner, Lübeck (rund 220.000) und Flensburg (90.000 Einwohner) ist Neumünster die viertgrößte Stadt im selbst ernannten „Land zwischen den Meeren“. Dementsprechend nennt sich die Stadt selbst auch etwas hochtrabend die „lebendige Stadt zwischen den Meeren“.

Ganz nebenbei liegt Neumünster auch ziemlich in der Mitte Schleswig-Holsteins. Nach Kiel sind es mit dem Zug nur 18 bis 24 Minuten, nach Lübeck (mit einmal umsteigen) 1:17 Stunden, nach Heide 1:08 Stunden und Hamburg ist nicht mal eine Dreiviertelstunde entfernt.

Bahnstrecke von einer Brücke aus gesehen
Alle Wege führen nach Neumünster

Die Top 10 der Sehenswürdigkeiten

In Neumünster scheint es ein paar sehr aktive Wikipedianer zu geben, jedenfalls findet sich dort eine sehr umfangreiche Liste der Kulturdenkmäler in Neumünster. Es würde mich wundern, wenn es einigermaßen interessante Gebäude gäbe, die dort nicht aufgeführt sind.

Aber dies sind meine – wie immer völlig subjektivenHighlights in Neumünster.

Top 1:
Der Einfelder See

Der Einfelder See liegt etwa sieben Kilometer nördlich vom Stadtzentrum von Neumünster direkt an der ehemaligen Chaussee Altona – Kiel, die der dänische König Frederik VI. 1830 bis 1832 als erste Kunststraße Schleswig-Holsteins bauen ließ. Hier lassen sich stellenweise noch echte Meilensteine finden, die schmuckvoll alle 7,532 Kilometer (gleich eine Meile) aufgestellt sind.

Blick eine Rutsche hinunter auf den Sandstrand und den See
Spielspaß am Badestrand

Heute ist der 168 Hektar große See, der nach der letzten Eiszeit entstand, ein beliebtes Naherholungsgebiet mit Kanuclub, Stand-up-Paddling-Schule und mehreren Badebuchten mit Sandstränden. Und da ein Seeblick immer gut ist, stehen am Südufer auch jede Menge hübsche Häuser.

Den See – und auch das Naturschutzgebiet Dosenmoor (s.u. Top 8) – erreicht man auch ganz bequem mit dem Regionalzug der Strecke Hamburg – Kiel (Bahnhof „Einfeld“).

Top 2:
Das Rathaus

Das Rathaus von Neumünster macht richtig was her. Gebaut 1898 bis 1900 im neugotischen Stil hatte es – wie viele Rathaus-Bauten seiner Zeit – das Ziel, das Selbstbewusstsein der aufstrebenden Stadt zu verkörpern. So wurde hier eben kein einfacher Zweckbau in die Stadtmitte gesetzt, sondern ein Bau mit Loggia, Erkertürmen, vielen Ornamenten und Mosaiken, die die Stadtgeschichte Neumünsters erzählen.

Und da dies hier ja bekanntermaßen auch ein Bildungs-Blog ist, werfe ich mein frisch erworbenes Wissen in den Raum: Das Rathaus hat ein traufständiges Dach! Das heißt man sieht von vorne statt eines Giebels eine Dachseite.

Rathaus von vorne
Das Rathaus von Neumünster

Top 3:
Brachenfeld

Das ehemalige Bauerndorf Brachenfeld wurde erst 1938 nach Neumünster eingemeindet. An der Hauptstraße kann man noch heute ein bisschen die Geschichte des Dorfes und der Stadt Neumünster ablesen.

Neben ganz normaler Wohnbebauung finden sich hier zahlreiche Villen – eine davon wird von der Herbert-Gerisch-Stiftung genutzt, im Garten werden Skulpturen verschiedenster Künstler ausgestellt. Die meisten Villen stammen noch aus der Zeit, als Neumünster eine bedeutendes Zentrum der Textilindustrie war (s. Top 10: Das Museum Tuch + Technik) und sich die wohlhabenden Tuchfabrikanten hier im Grünen ihre bescheidenen Wohnsitze einrichteten.

Aber auch der dörfliche Charakter kommt zur Geltung: Ein paar landwirtschaftliche Betriebe sind hier am äußersten Stadtrand noch zu finden oder eben schöne, alte Bauernhäuser mit Reetdach.

Großes Bauernhaus mit Reetdach
Altes Bauernhaus an der Hauptstraße in Brachenfeld

Top 4:
Der Tierpark Neumünster

Der Tierpark Neumünster trägt seinen Namen völlig zurecht, liegt er doch in einem 24 Hektar großen Waldgebiet und fühlt sich wirklich wie ein Park an. Über 700 Tieren aus hundert verschiedenen Tierarten hat der Tierpark hier selbst gezählt. Mir haben sich allerdings nicht alle Tiere gezeigt. Könnte aber an mir liegen.

Die „Big Five“ findet man in Neumünster – mit Blick auf die Größe des Parks: zum Glück! – nicht, aber hier lebt beispielsweise Deutschlands größter Eisbär. Vitus kann sich zu bis zu 3,60 Meter aufrichten. Etwas befremdlich fand ich allerdings die Indiskretionen zu seinen Hoden und seiner Unfruchtbarkeit auf seiner Vorstellungstafel.

Dafür gibt es Wisente und Auerochsen, Stachelschweine und Minischweine und eine Mäuse-WG. Hinzu kommen unter anderem niedliche Otter, Seehunde, Pinguine, Alpakas und Nasenbären.

Der Tierpark bietet noch einen Abenteuerspielplatz und einen Geestbauernhof mit Streichelgehege – genug Attraktionen also, um neugierige kleine Kinder glücklich zu machen. Da lohnt sich wahrscheinlich auch die Familien-Jahreskarte für 80 Euro.

Wegen der fehlenden Faultiere – ich mag Faultiere einfach sehr – kommt der Tierpark bei mir nur auf Platz 4 der Highlights in Neumünster.

Altes Bauernhaus und Schafe und Ziegen
Am Streichelgehege

Top 5:
Das älteste Haus der Stadt

Das älteste Gebäude Neumünsters stammt Holzanalysen zufolge ungefähr aus dem Jahr 1700. Mitten in der Innenstadt, in der ruhigen Straße Fürsthof gelegen, steht es derzeit übrigens für 285.000 Euro zum Verkauf.

Das giebelständige Haus (ja, ich habe tatsächlich was Neues gelernt!) ist nach über 400 Jahren natürlich nicht mehr so ganz gerade. Die Holzverkleidung des oberen Stockwerks neigt sich etwas zur Straße hin. Im Inneren befinden sich zwei Wohnungen mit interessantem Grundriss. Gerade durch die Schrägen im Obergeschoss wirkt es dort allerdings recht dunkel, wie ich aus gut informierten Kreisen erfahren habe.

Altes Fachwerkhaus
Das älteste Haus Neumünsters

Top 6:
Der Wasserturm

Der 1899 bis 1900 gebaute Wasserturm ist mit seinen 48 Meter der höchste Turm seiner Art in Schleswig-Holsteins. Noch heute wird der – wie ich finde – sehr pittoreske Turm als Druckausgleich im Wasserleitungssystem und als Löschwasser-Reserve genutzt.

Die Stahlwanne im Kopf des Turmes fasst immerhin 950 Kubikmeter Wasser. Makellos ist der Wasserturm aber nicht: Wenn man ganz genau hinschaut, sieht man, dass der Turm inzwischen um 24 Millimeter nach Nordosten geneigt ist.

Weißer Wasserturm mit großem Wasserbecken
Das ist er, der Wasserturm

Top 7:
Industriearchitektur

Mit ehemaligen Industriegebäuden – gerne in Backsteinoptik – kann man mich immer begeistern. Kein Wunder also, dass die ehemalige Papierfabrik, die frühere Holsten-Brauerei und ein alter Lokschuppen mein Interesse geweckt haben.

Die Papierfabrik stammt aus dem 19. Jahrhundert und ist jetzt, wenn man dem Vermieter glauben darf, „eine repräsentative Geschäftsadresse unweit der Neumünsteraner Innenstadt“. Unter anderem ein Restaurant und ein Kulturzentrum sind hier eingezogen. Im Gebäude der Holsten-Brauerei, das 1874 gebaut wurde und wo bis zur Einstellung des Brauereibetriebs 1986 täglich bis zu 90.000 Bierdosen abgefüllt wurden, ist jetzt neben mehreren Dienstleistungsunternehmen passenderweise auch ein Weinhändler angesiedelt.

Gerne hätte ich einen alten Lokschuppen mit der Drehscheibe für Züge gesehen, aber das Ganze befindet sich auf dem Gelände der Deutschen Bahn und man darf es nicht betreten. Bis 2005 war das Ensemble noch Teil eines Bahn-Museums.

Blick über einen Zaun und durch Grünzeug auf ein Backsteingebäude
Alter Lokschuppen – Zutritt verboten

Top 8:
Naturschutzgebiet Dosenmoor

Nördlich von Neumünster liegt unweit des Einfelder Sees das 521 Hektar große Naturschutzgebiet Dosenmoor. Das nahezu kreisrunde Moor wird jetzt renaturiert, nachdem dort bis 1977 noch Torf abgebaut wurde und dem Gelände so Wasser entzogen wurde.

Große freie Fläche, mit ein paar Bäumen
Blick ins Dosenmoor

Ebenso wie der Einfelder See ist auch dieses Hochmoor (ganz nebenbei das am vollständigsten erhaltene Hochmoor in Schleswig-Holstein) als Folge der letzten Eiszeit entstanden. Heute leben hier schätzungsweise 2.000 Tierarten. Und die bekommen recht häufig Nordic Walker zu sehen, deren Strecke am Moor entlang führt. Aber auch als ganz normaler Spaziergänger hat man hier schöne Ausblicke.

Feuchtgebiet im Dosenmoor
Versuch der Denaturierung im Hochmoor

Top 9:
Altstadt-Juwelen

Neben dem Rathaus und dem ältesten Haus der Stadt gibt es noch ein paar weitere Highlights in der Innenstadt Neumünsters. Unter anderem die Vicelinkirche, das Haus Westphalen und das Caspar von Saldern-Haus.

Kirche von der Seite aufgenommen
Vicelinkirche

Die Vicelinkirche gilt – in Neumünster scheint irgendwas immer das größte, beste und schönste in Schleswig-Holstein zu sein – als eine der bedeutendsten klassizistischen Kirchenbauten Schleswig-Holsteins. Gut, das lasse ich jetzt mal so stehen, glaube aber ehrlich nicht, dass es so wahnsinnig viele klassizistische Kirchen geben dürfte.

Aber auch ich muss zugeben, dass die Kirche mit ihren gelben Backsteinen ganz okay aussieht. Etwas verwittert vielleicht, doch sie steht da immerhin auch schon seit 1834. Benannt ist sie nach dem ostholsteinischen Bischof, der den 1811 wegen Baufälligkeit abgerissenen Vorgängerbau 1147 erbauen ließ.

Um die Ecke steht das (Fachwerk-) Haus Westphalen aus dem Jahr 1770. Im Obergeschoss des repräsentativen Bürgerhauses, das lange Zeit als Schule für höhere Töchter diente, befindet sich ein Rokoko-Saal mit Stuckatur.

Nur kurze Zeit hatte Caspar von Saldern Vergnügen mit dem nach ihm benannten, Mitte des 18. Jahrhunderts erbauten, Amtsgebäude. Von Saldern wurde als Leiter des Amtes Neumünster abgesetzt, nachdem er eigenmächtig die Gründung einer Schützengilde genehmigt hatte. Irgendwie war er dann später noch an Friedensverhandlungen zwischen Dänemark und Russland beteiligt. Neumünster hatte er da wohl schon wieder vergessen. Heute ist in dem Gebäude die Musikschule Neumünster zu Hause.

Top 10:
Das Museum Tuch + Technik

Neumünster war lange das Zentrum der deutschen Tuch- und Lederindustrie. Daher gibt es hier auch ein dazu passendes Museum. Das Museum Tuch + Technik konnte ich leider nur von außen bestaunen – dem Föderalismus sei dank. Während in Hamburg inzwischen nach Voranmeldung auch ungetestete Besucher Museen besuchen dürfen, ist man in Schleswig-Holstein strenger.

Hässliche Fassade - sieht aus der Entfernung eher wie ein Parkhaus aus
Von außen macht das Museum nicht viel her

Aber ein Museum mit einer Alliteration im Namen kann nicht schlecht sein. Und hier werden auf fast 2.000 Quadratmetern 2.000 Jahre Textil-Geschichte erzählt. Das Museum verspricht, dass es „spannende Ausstellungsstücke“ zu entdecken gibt.

Zu den Highlights gehören wahrscheinlich auch die Webstühle und industriellen Textilmaschinen, deren Funktionsweisen zu bestimmten Zeiten vorgeführt werden. Vor Ort gewebte Waschlappen, Handtücher und Wolldecken kann man auch im Museumsshop erwerben.

Je mehr ich mir allerdings die Fotos angeschaut habe, die sich bei Google finden lassen, desto mehr komme ich zu der Erkenntnis, dass ich da sechs Euro Eintritt gespart habe. Aber wer weiß, vielleicht hätte das Museum vor Ort bei mir eine verborgene Begeisterung für Webstühle geweckt – daher ein wohlwollender Platz 10 im Neumünster-Ranking.

Blick durch das Fenster in den Innenraum des Museums
Klopapierrollenwärmer – ein Exportschlager aus Neumünster