Das Kloster Tatev – eine der wichtigsten Sehenswürdigkeiten Armeniens
Heute scheint es fast unglaublich, aber Ende des 14. und in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts war Tatev, 250 Kilometer von Eriwan im Süden Armeniens gelegen, mit Kloster und Universität eines der wichtigsten kulturellen Zentren des Landes. Allein im Klosterkomplex lebten damals rund 800 Menschen.
Tatev hat heute zwar genauso viele Einwohner, wirkt aber wie das Ende der Welt. Die Dorfstraßen sind nicht befestigt und verwandeln sich bei Regen in schlammige Rutschbahnen, Kühe und Schafe laufen frei umher und hier und dort stehen alte landwirtschaftliche Fahrzeuge – Tatev ist also so ziemlich das Gegenteil des quirligen Eriwan.
Im Zusammenspiel mit dem weitgehend restaurierten Kloster ist das Dorf die nicht ganz einfache Anreise von Eriwan aus absolut wert. Für mich war es eines der Highlights meiner Reise nach Armenien.
Das Kloster Tatev
Im Jahr 895 wurde das Kloster Tatev zeitgleich mit dem Baubeginn der Hauptkirche „Peter und Paul“ gegründet und entwickelte sich nicht nur zu einem Zentrum des Glaubens, in dem unter anderem Mönche Bibeln und andere Texte handschriftlich vervielfältigten, sondern war gleichzeitig auch ein feudaler, eher weltlicher Betrieb. Einige Dörfer in der Umgebung gehörten mit zum Besitz des Klosters.
Im Laufe der Jahrhunderte wurde das Kloster unter anderem von den Seldschuken und Mongolen geplündert, ehe es 1931 bei einem Erdbeben schwer in Mitleidenschaft gezogen wurde.
Seit einigen Jahren wird das Kloster restauriert und sorgt zusammen mit der 25 Millionen US-Dollar teuren Seilbahn von Halidsor bis Tatev für einen touristischen Aufschwung, der zuletzt allerdings durch militärische Auseinandersetzungen im nahen Bergkarabach stark gebremst wurde.
Insbesondere ein Herumstromern in den Räumen der Außenmauern lohnt sich. Hier gibt es viel zu entdecken: Kleine Details wie Schnitzereien von landwirtschaftlichen Tätigkeiten, wie dem Pflügen eines Feldes mit Ochsen, an einer Holztür oder rätselhafte zugemauerte Auf- oder Durchgänge.
Unverhofft ergeben sich dabei auch immer wieder wundervolle Ausblicke auf das Tal zu Füßen des Klosters oder die teilweise nicht asphaltierte Bergstraße, auf der sich – wegen der kriegsbedingten Sperrung der Hauptachse über Bergkarabach in Richtung des nahegelegenen Iran – unzählige Lastwagen die Serpentinen im Schritttempo hinauf quälen.
Eine Ölmühle auf dem Klostergelände wurde schon vollständig restauriert und bietet eine kleine Ausstellung zur Geschichte des Klosters. Ausgestellt sind auch ein paar der alten Schriften, darunter illustrierte Bibeln.
Tatev – das Dorf
Ohne den Tourismus durch das Kloster wäre in Tatev überhaupt nichts los. Es ist einfach ein kleines Dorf, versteckt im Süden Armeniens. Abgesehen von der Seilbahngesellschaft gibt es kaum Arbeitgeber. Stattdessen prägen windschiefe Häuser und alte landwirtschaftliche Fahrzeuge das Bild.
Der große Aufschwung ist in Tatev noch nicht sichtbar, auch wenn dank Mikrokrediten einer italienischen NGO einige Einwohner mit Bed& Breakfast-Unterkünften oder einem Café und einem Restaurants nahe des Klosters etwas touristische Infrastruktur geschaffen haben.
Das Kloster Tatev steht zwar auf der Kandidatenliste der UNESCO für den Weltkulturerbe-Status, aber noch wirkt es, als warte Tatev noch auf seinen Durchbruch. Die Seilbahn wirkt wie ein Ufo in diesem kleinen Dorf. Und doch treffen sich hier die Welten, wenn die freilaufenden Kühe an den Bäumen im Park an der „Wings of Tatev“-Station knabbern und Mitarbeiterinnen ihre Hinterlassenschaften mit Schaufeln aufsammeln müssen.
Schaufensterbummel in Tatev? Keine Chance. Es gibt nur zwei kleine Läden, in denen man das Nötigste an Lebensmitteln kaufen kann. Es ist eben wirklich ein Dorf.
Selbstversorgung wird hier großgeschrieben. In vielen Gärten laufen Hühner herum, Schafe und Kühe bummeln durch den Ort. Ansonsten wird hier viel Obst und Gemüse für den Eigenbedarf angebaut – oder eben im Bed & Breakfast an die Gäste verfüttert.
Tatev einzige Chance scheint der Tourismus zu sein. Noch scheint aber selbst für eine Renovierung des Rathauses scheint kein Geld übrig zu sein. Bleibt zu hoffen, dass sich die Spannungen mit Aserbaidschan wieder beruhigen und der Tourismus wieder richtig in die Gänge kommt.
Tatev im Nebel
Ein ganz besonderes Erlebnis ist übrigens Tatev im Nebel bzw. wenn die Regenwolken so tief hängen, dass sie den Ort wie in Watte zu packen scheinen und die Sichtweite auf wenige Meter sinkt.
Nach Einbruch der Dunkelheit sieht man dann absolut nichts mehr. Straßenbeleuchtung gibt es eh nicht und an der Hauptstraße hört man die schnaufenden alten Lastwagen lange, bevor ihre Scheinwerfer zu sehen sind.
Auch mit der Taschenlampe des Smartphones lag die Sichtweite bei höchstens zwei Metern. Abzweigungen auf den matschigen Wegen hätte ich einfach nicht gesehen und verpasst. Ohne Karten-App und Orientierung mit GPS hätte ich nicht mehr nach Hause gefunden.
Lohnt sich die Anreise nach Tatev?
Ja, Tatev sollte man unbedingt auf seine Reiseroute in Armenien setzen. Für einen Tagesausflug ist die Anreise aus meiner Sicht zu umständlich, aber mit zwei Übernachtungen wird man dem Ort, dem Kloster und der wunderschönen Umgebung eher gerecht.
Übernachtung in Tatev
Es gibt in Tatev zahlreiche Bed & Breakfast-Angebote, die sich stark gegenseitig Konkurrenz machen, so dass die Preise sehr niedrig sind.
Ich kann folgende Unterkunft sehr empfehlen:
Gevorgyans Bed & Breakfast
Kleines B&B mit zwei Zimmern, von einer sehr netten Familie geführt. Aktuell allerdings nicht über Booking.com buchbar.
12 street, 13th house, Tatev
Booking.com