Brücken verbinden – drei Hochhäuser in Tbilisi

Ich habe ja ein gewisses Faible für die Sowjet-Wohnarchitektur, wie ich schon mal in Danzig und Chișinău beschrieben habe. Insofern war klar, dass ich auch die Wohn-Silos am Stadtrand von Tiflis (oder auch: Tbilisi) besichtigen würde, die in luftiger Höhe mit Metallbrücken miteinander verbunden sind.

Die georgischen Architekten Otar Kalandarishvili und Guizo Potskhishvili hatten hier in einem Neubaugebiet von 1974 bis 1976 drei Hochhäuser im modernistischen Sowjetstil errichten lassen. Da die Gebäude am Hang stehen, hat man sie untereinander und mit der oberhalb des Gebäudekomplexes verlaufenen Straße durch Fußgängerbrücken miteinander verbunden.

Metallbrücken verbinden mehrere heruntergekommene Hochhäuser
Sowjetarchitektur in Reinkultur – Hochhäuser am Stadtrand von Tiflis

Kalandarishvili gehörte damals zu den bedeutendsten Architekten Georgiens, von seinen Werken scheint aber kaum etwas den Verfall der Sowjetunion überlebt zu haben. Umso spannender ist es, den sogenannten Skybridges im Stadtteil Saburtalo einen Besuch abzustatten.

Tiflis hatte sich erst in den 1960er Jahren weit in das Tal der Were ausgebreitet. Zahlreiche Wohnkomplexe, die Gebäude (insbesondere die Bibliothek) der Staatsuniversität und der erste Teil der Sabutarlo-Metro-Linie zeugen noch von dieser Zeit der Expansion.

Eine Einordnung der Architektur Tiflis‘ zwischen Tradition, Sowjetbauten und Moderne mit vielen weiteren interessanten Gebäuden nimmt der Historiker Ludwig Moos hier vor.

Metallbrücken verbinden drei heruntergekommene Hochhäuser
Skybridges verbinden die drei Hochhäuser aus den 1970er Jahren miteinander

Die Situation heute

Die Hochhäuser aus den 1970er Jahren sind deutlich in die Jahre gekommen. Vielfach wurden sie inzwischen zwar modernisiert, die drei Hochhäuser mit den Skybridges gehören aber definitiv nicht dazu – und das macht sie mit ihrer brutalistischen Architektur und dem pittoresken Verfall zu beliebten Fotomotiven von Touristen.

Zwei versetzt stehende Hochhäuser durch Brücke in oberem Stockwerk miteinander verbunden
Die Loggien haben sich als Konzept nicht so richtig durchgesetzt

Die Skybridges-Hochhäuser gehören zum „Nutsubidze Plato I Micro-District„, der noch ein paar weitere Häuser an der sich den Hang hochschlängelnden Emile Bedia-Straße umfasst. Die charakteristische Loggien mit Holzverkleidung und halbkreisförmiger Aussparung vor den Wohnungen scheinen sich in der Praxis nicht bewährt zu haben. Sie sind zwischenzeitlich vielfach zugemauert und mit Fenstern ausgestattet worden, um echten Wohnraum zu schaffen.

Geld für Modernisierungen und Renovierungen scheint nie vorhanden gewesen zu sein und es wirkt so, als seien die Hochhäuser (und die Brücken) dem langsamen Verfall geweiht.

Blick von einer der Brücken auf die Umgebung mit Wohnhochhäusern
Einst ein modernes Neubauviertel, heute etwas vernachlässigt

Zwischen den Hochhäusern – Auf den Brücken

Den besten Eindruck macht noch die Brücke, die von einer der oberen Kurven der Ermile Bedia-Straße gestützt von einem Pfeiler aus Metallstreben zum Gebäude Nummer 3 führt und es auf Höhe der neunten Etage erreicht. Damit war die Brücke wohl auch als Notausgang des insgesamt 15-stöckigen Gebäudes gedacht.

Blick über die Fußgänger-Brücke zum ersten Hochhaus
Zugang zum obersten der drei Hochhäuser

Ein kleiner Tunnel führt dann durch das Gebäude und auf der anderen Seite wartet dann gleich die nächste Brücke, die zum etwas nach rechts versetzten Gebäude Nummer 2 führt und auf dessen linke Gebäudeseite trifft. Diese Brücke macht schon einen wesentlich schlechteren Eindruck: Rost nagt an den Metallstreben, der Boden ist nicht mehr ganz eben und an einer Stelle klafft ein mindestens faustgroßes Loch, durch das man in die Tiefe schauen kann.

Der Wind pfeift zwar ganz schön auf den Brücken, aber der Ausblick ist grandios. Auf der einen Seite eröffnet sich die Sicht auf flachere Wohngebäude, die meist auch schon ihre besten Zeiten hinter sich haben sowie moderne Hochhaus-Neubauten, die von der Verlängerung der Metro-Linie bis zur Station „State University“ im Jahr 2017 profitieren. Auf der anderen Seite reicht der Blick bis zum Mtatsminda Park mit dem Fernsehturm von Tiflis und dem Riesenrad auf dem Bergrücken.

Blick über Hochhäuser auf einen Bergrücken mit Turm und Riesenrad
In Sichtweite: der Mtatsminda Park mit dem Fernsehturm

Die dritte (und letzte Brücke) endet wie in einem dunklen Loch im 12. Geschoss von Gebäude 1, dessen rückwärtige Fassade durch abgerundete rautenförmige und rechteckige Aussparungen im Beton nicht gerade künstlerisch wertvoll wirkt, so aber das dahinter liegende Treppenhaus mit Abgängen und Fahrstühlen beleuchtet wird.

Blick über die zweite Brücke zwischen den Hochhäusern
Weiter geht’s über die letzte Brücke

Im Hochhaus – Es wirkt verlassen

Wobei die Fahrstühle auch nicht mehr funktionieren. Auf einigen Etagen wirken sie noch so, als müsste man nur den Knopf drücken und dann würde sich surrend der Fahrstuhl in Bewegung setzen; auf anderen Etagen fällt diese Illusion durch abgestellte Möbel oder Sperrmüll sofort in sich zusammen.

Blickt man vom Treppenhaus auf die Skybridge, so erahnt man, wie diese früher im wahrsten Sinne des Wortes ein verbindendes Element zwischen den Wohnhäusern war. Statt erst umständlich mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss zu fahren, dann auf der Straße um das Gebäude herum zu laufen und wieder mit einem Fahrstuhl nach oben zu fahren, konnte man hier einfach und schnell die Nachbarn im nächsten Hochhaus besuchen.

Brücke verschwindet im nächsten Hochhaus
Es wirkt, als führte die Brücke direkt in eine Wohnung

Heute wirken die Hochhäuser verlassen. Klar, von außen sieht man, dass sie bewohnt sind, in den Treppenhäusern ist es aber still und ich werde das Gefühl nicht los, in einem leeren Haus zu sein, das für eine Sprengung vorbereitet ist. Im Tatort wäre ich jetzt wohl eh schon von einer frustriert-desillusionierten Jugendgang überfallen und niedergestochen worden. Aber das hier ist ja zum Glück Tiflis und nicht, sagen wir mal, Hannover.

Vergitterte Metalltür
Nein, kein Gefängnis – nur der Zugang zum Treppenhaus

Das Treppenhaus ist aber schon abenteuerlich. Die Geländer sind nicht immer ganz stabil, die Befestigungen an den Treppenstufen sind teilweise weggebrochen oder weggerostet. Die Stufen sind oft uneben und von Rissen durchzogen und auf den Zwischenetagen fehlt schon mal ein Teil der Bodenfliesen und des darunter liegenden Betons.

In die Flure, die zu den Wohnungen führen, habe ich nur mal einen flüchtigen Blick geworfen – alles andere hätte ich schon als Eintritt in die Privatsphäre der Bewohner empfunden. Aber nun nagt natürlich die Frage an mir, wie es wohl in den Wohnungen aussehen mag – sind sie in besserem Zustand als die Gebäude insgesamt oder sind ist auch dort der Verfall beinahe unaufhaltsam?

Wie mag es wohl in den Wohnungen aussehen?

Der Fotograf Alex Schoelcher hat übrigens mal ein paar der Menschen porträtiert, die hier leben. Sein Projekt nennt sich „Concrete Citizens“ und stellt ehemalige Sowjetbauten und ihre Bewohner u.a. im Romanita-Turm in Chișinău, in Bischkek (Kirgisien) oder Almaty (Kasachstan) vor.

Polizeitstation im Erdgeschoss eines der Hochhäuser
Im untersten der drei „Skybridge-Hochhäuser“ befindet sich die Polizeistation des Viertels

Wie kommt man zu den Skybridges in Tiflis?

Die Anfahrt ist einfach: Mit der „grünen“ Sabutarlo-Metro bis zur Endstation „State University“, dann rechtsrum raus aus der Station und bergauf laufen.

Zur obersten Brücke kommt man am besten über die Ermile Bedia-Straße. Entweder läuft man die Straße immer entlang bis man zur obersten Brücke kommt oder man geht in Gebäude Nummer 3 das außen liegende Treppenhaus nach oben bis irgendwann der Durchgang zur anderen Gebäudeseite kommt.

Metallbrücken verbinden die Hochhäuser in Hanglage miteinander
Die Brücken verbinden die Hochhäuser in Hanglage miteinander